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Weltwoche, Januar 2002                                                                                                zurück zur Übersicht

Dr. Kimbles Umzug in den Knast

Der Jungunternehmer Kim Schmitz war der grösste Protzer der deutschen New Economy - arglos vertraute die Schickeria ihm ihr Geld an. Jetzt sitzt der Ex-Hacker hinter Gittern

Als Buddha vergangene Woche vom Münchner Himmel herabschwebte, war es 7.35 Uhr am Morgen und stockdunkel. Bayerische Polizisten verhafteten ihn sofort nach der Landung der Lufthansa-Maschine des Flugs LH 114. Jetzt sitzt er ein im Münchner Gefängnis Stadelheim. Der Vorwurf: betrügerischer Insiderhandel.

Im Jahr 2010 wolle er zu den zehn reichsten Männern der Welt gehören, hatte er immer gesagt. Er, Kim Schmitz, massiger Ex-Hacker und angebeteter Internetunternehmer aus München, 28 Jahre alt, geschätzte 150 Kilogramm und, glaubt man diversen Gerüchten, mindestens ebenso viele Millionen Euro schwer. Obwohl er neuerdings Schulden haben soll.

«Deutschlands Grossmaul Nr. 1» nennt ihn die Bild-Zeitung. Auf seiner Homepage www. kimble.org finden sich rund 300 Fotos von ihm mit den Ludern und Lärmern dieser Welt. Bruce Willis. Verona Feldbusch. Mein Flugzeug. Mein Auto. Kein Werbegag war ihm zu geschmacklos. Nach dem Terroranschlag in New York bot Schmitz zehn Millionen Dollar für Hinweise auf Osama Bin Laden. Anfang Oktober 2001 rief er «Yihat» ins Leben, die «Young intelligent Hackers against Terror», eine smarte Truppe also, welche die Finanzströme der Al-Qaida-Terroristen unterbrechen sollte. Schmitz bot seine Konten als Ablage für die Millionen an.

Millionen auch hat er in den Jahren bis zu seiner Verhaftung verpulvert. Er segelte mit seiner Luxusjacht durch die Südsee, rollte mit dem Mercedes durch Deutschland, düste mit dem Lear-Jet über Europa, und er erzählte allen davon, unter anderem in der «Harald-Schmidt-Show». Er schmiss Champagner-Runden in Münchens edelster Schicki-Disko «P1». Etwa 2,5 Millionen Euro jährlich koste ihn sein Leben auf der Überholspur, sagte Schmitz, das sei ja nicht viel. Woher das Geld kommt, sagte er nie. Er sei eben ein cleverer Typ und kassiere an der Börse ab. Doch woher sein zur Schau gestellter Reichtum wirklich kam, bleibt bis heute grösstenteils ein Rätsel.

Hausverbot im Chaos Computer Club

Sicher ist: Angeber gibt es viele. Neureiche auch. Aber so schamlos wie Schmitz war niemand vor ihm, und er hat es wie kaum einer geschafft, Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Denn Schmitz' Leben war immer eine Show, und in der New-Economy-Hysterie zahlte sich das aus. Er wächst auf in Kiel, einer grauen Stadt am Meer. Er macht, wie er behauptet, mit 17 das Begabtenabitur und verkauft illegal Kopierschutzprogramme. Zwölf bis vierzehn Stunden sitzt er vor dem Computer, wird dicker und dicker. Sein Tarnname als Hacker: «Kimble».

Anfang der Neunziger zieht er nach München. Mit einem Freund knackt er Firmenrechner, erleichtert Telefonunternehmen um mehrere hundertausend Dollar und kommt für kurze Zeit in U-Haft. «Dr. Kim Schmitz», wie es auf der Kreditkarte des Nichtakademikers heisst, geht aber auch legale Wege. Er gründet die Firma Data Protect und sichert Firmennetze gegen Hackerangriffe. 1998 folgt dann doch ein Prozess vor dem Landgericht München: Schmitz bekommt zwei Jahre Jugendhaft auf Bewährung, wegen Betrugs, Ausspähen von Daten und des Missbrauchs von Titeln. Die Hackerszene mit ihrer Neigung zur Mythenbildung baut sich anschliessend ihr Hassobjekt auf. Beim Chaos Computer Club bekommt Schmitz Hausverbot. Er arbeite mit dem Verfassungsschutz zusammen, heisst es in der Szene. Wie sonst sei ein so mildes Urteil zu erklären? Diese Gerüchte machen ihn bekannt. Geld hat er schon reichlich.

Seine ganz grosse Zeit bricht an, als der Neue Markt boomt. Biotech, Mobilfunk und Internet - 1999 gehen 132 Unternehmen an die deutsche Wachstumsbörse. Ahnungslose Gutverdiener wollen ihr Geld anlegen, um später Traumgewinne einzusacken. Nur wo investieren? Weil niemand ökonomische Kennzahlen deuten kann, müssen andere Kriterien her. Image ist alles - nur was man sieht, zählt.

Und Schmitz sieht man den Erfolg an. Er geht herum als Fleisch gewordener Gewinn, sammelt Geld ein bei den Habitués der von ihm organisierten Schampus-Partys - Fernsehmoderatoren, Starlets und Schauspieler, die er teilhaben lässt an seinem Reichtum, auf einem Landsitz in Irland, beim Autorennen in Monaco, an der «P1»-Bar. Er wird ihr Fremdenführer im Wirtschaftswunderland. Keiner weiss, ob er auf Schweinebäuche oder Aktien setzt, so ganz privat. Sie hoffen nur auf den dicken Gewinn. Sie haben Geduld.

Schmitz sieht, wie die Ahnungslosen den Dotcom-Blendern hinterherlaufen und macht mit im Reigen der Abkassierer. Anfang 2000 gibt er die Gründung seiner Internet-Investmentfirma Kimvestor bekannt und bietet Anteile daran feil - Mindesteinlage 50 000 Euro, zahlbar an «Kontoinhaber: Kim Schmitz». Den Firmenwert gibt er mit 200 Millionen Euro an, gesicherte Zahlen präsentiert er allerdings keine.

Anfang 2001 verkauft Schmitz sein biederes Sicherheitsgeschäft mehrheitlich an den TÜV Rheinland, den Technischen Überwachungsverein, der auch für die Betriebssicherheit von Autos und Elektrogeräten zuständig ist. Kim ist jetzt nur noch ein richtig cooler Investor. Und lässt es gleich richtig krachen, so laut, dass es ihn später hinter Gitter bringt: Er gibt bekannt, den Internet-Rabattjäger Letsbuyit.com mit fünfzig Millionen Euro retten zu wollen. Doch schon vor der offiziellen Börsenmitteilung steigt der Letsbuyit-Kurs merklich an, am Vormittag danach legt er sogar um 137 Prozent zu. Schmitz steht heute deswegen vor einer Klage wegen Insiderhandels. Ihm wird vorgeworfen, sein Wissen ausgenutzt und die Aktien von Letsbuyit noch vor der Börsenmeldung billig gekauft und sie danach teuer verkauft zu haben. Vermuteter Gewinn: 1,192 Millionen Euro. Schmitz beteuert seine Unschuld, doch das versprochene Geld ist nie bei Letsbuyit angekommen.

Der Letsbuyit-Auftritt ist zugleich Höhepunkt als auch der Beginn des Falls von Kim Schmitz. Geschäftlich hat er schon bald nichts mehr zu vermelden. Die Kimvestor-Beteiligung Megacar, die Autos mit Internetzugängen ausrüstet, kommt nicht vom Fleck. Auch Monkey, ein Zahlungssystem per Handy, fasst nicht Fuss. Und mit dem Niedergang des Neuen Marktes stürzen auch seine prominentesten Idole. Das Investitionsklima ist verdorben, die Ahnungslosen fragen nach dem geliehenen Geld. Viva-Moderator Frank Lämmermann etwa, der ehemalige Partygast, will von seinem Exkumpel Schmitz 13 000 Euro zurück.

Flucht nach Thailand

Die schlechten Nachrichten folgen von da an Schlag auf Schlag. Im September 2001 melden die TÜV-Manager Insolvenz für die gemeinsame Sicherheitsfirma an. Schmitz habe seine Rechnungen nicht bezahlt. Im Dezember ergeht Strafbefehl wegen der Kimvestor-Gründung: Kapitalanlagebetrug. Über ein Jahr lang war Kimvestor nicht im Handelsregister eingetragen, und trotzdem warb der König des Schmuses mit Topmanagern von Dresdner Bank und Daimler-Chrysler, die angeblich im Aufsichtsrat sassen - was schlichtweg nicht stimmte. Am 15. Dezember ruft Schmitz die Polizei. Sie müsse ihn vor dem Münchner Rotlichtmilieu schützen. Die Kollegen aus der Halbwelt fordern 350 000 Euro, die er sich von ihnen geliehen haben soll.

Am 11. Januar dieses Jahres schliesslich macht sich Schmitz davon. In Deutschland gebe es keinen Platz für Helden, schreibt er auf seiner Homepage. Verbrecher würden sein Leben bedrohen. Doch Schmitz setzt sich ausgerechnet nach Thailand ab, dorthin, wo auch der Dümmste zuerst nach ihm suchen würde. Und so wird der «weltberühmte Hacker», wie er sich zuweilen nannte, bald in seinem Luxushotel in Bangkok verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert, wegen des Verdachts auf Insiderhandel beim Letsbuyit-Deal. Am Morgen des 22. Januar 2002 landet sein Flugzeug in München, er landet im Knast und wartet ab, was man von ihm will.

Aber Kim Schmitz hat der Realität längst den Rücken gekehrt. Im Internet liess er sich am 21. Januar beerdigen und trat in ein neues Leben ein. Er sei jetzt «King Kimble the First - Ruler of the Kimpire». «Sexy Girls» sollen sich melden unter «girls@kimpire.com».

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