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brand eins, August 2004                                                                                                  zurück zur Übersicht

Wenn der Markt schrumpft

So viele Produkte. So wenige Käufer. Das ist nicht die ferne Zukunft, sondern Alltag in der Kinderabteilung.

Was ist der Mensch wert? Genau 15 798,92 Euro. Pro Jahr. Er isst Brot und trinkt Cola, kauft Hosen und Autos, zahlt Mieten und Kreditraten. Er konsumiert. Er gibt aus. 15 798,92 Euro jedes Jahr. Das haben die Stadtentwickler der Stadt Essen ausgerechnet. Ganz schön blöd, wenn ein solcher Mensch nicht mehr da ist. Denn dann fehlt dieses Geld in den Kassen der Hersteller und Händler.

Die Bevölkerungsprognose des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen beschreibt für die Stadt Essen einen Rückgang der Einwohnerzahl von 608 700 im Jahr 1998 auf 525 000 im Jahr 2015. Das ist ein Minus von 13,7 Prozent. Der Grund für zwei Drittel der Verluste: Es sterben mehr Menschen, als geboren werden. Schon seit Jahren geht das so. Die Essener Bevölkerung schrumpft. Genau wie Deutschland. Denn die Kinder bleiben aus.

Der Trend steht fest. Heute leben in Deutschland 82,5 Millionen Menschen, im Jahr 2050 werden es nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im Extremfall 67 Millionen sein. Bei jährlich 100 000 Zuwanderern. Weniger Menschen, weniger Konsumenten. Wenige Junge, viele Alte. So einfach ist das. „Das müsste jeden Produzenten in Panik versetzen“, meint der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg von der Universität Bielefeld. Seit 20 Jahren sagt der Volkswirt das. Nur: Es hört kaum jemand hin. Doch wer die Zukunft ignoriert, kann sie nicht planen.

Es ist auch wirklich schwer. Wer heute wirtschaftet, kennt nur Zeiten des Wachstums. Mit einer Delle ab und an, die vorbei ging. Doch nun wird der Kuchen, von dem jeder satt werden muss, dauerhaft kleiner. Aber in Gedanken wird kräftig weitergespachtelt. Dabei zeigt sich längst, dass die konjunkturelle Schwäche auch eine demografische Schwäche ist.

Die Branche für Kinderbedarf erfährt schon heute, was künftig die gesamte Wirtschaft erwarten kann: schrumpfende Märkte. Seit über zehn Jahren gehen die Geburtenzahlen in Deutschland stetig zurück. In den vergangenen zehn Jahren sind die Umsätze mit traditionellem Spielzeug um rund 400 Millionen Euro auf 2,4 Milliarden Euro gesunken. Der Umsatz mit Kinderkleidung brach in nur sechs Jahren von 3,2 Milliarden auf 2,6 Milliarden Euro ein.

„Jedes Kind weniger bedeutet 650 Euro weniger Umsatz“, sagt Heijo Gassenmeier, stellvertretender Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels in Köln. Und das gilt nur für die Erstausstattung. In zehn Jahren sind die T-Shirt- und Cargohosenverkäufer dran. „Das Angebot wird für immer weniger Kunden gemacht werden müssen“, sagt Gassenmeier, „und für die Zukunft haben wir keine Szenarien.“ Das Sortiment erweitern inklusive Erziehungsberatung, höherwertiger verkaufen? „Das machen schon alle“, sagt Gassenmeier, „das ist keine Alternative.“ Fläche reduzieren? Das verhindern langfristige Mietverträge. Angestellte entlassen? „Man braucht seine Leute“, sagt Gassenmeier, „sonst wird man leer geklaut.“

Hallo? Hat jemand einen Plan?

Ja, es gibt einen. Man kennt ihn vom Kindergeburtstag. Ist der Kuchen fast alle, holt Mutter aus der Küche einen neuen, damit bloß kein Streit ausbricht. Für Kinderartikler liegt die Küche in China. Der weltgrößte Umschlagplatz für Kinderausstattung, die Messe „Kind + Jugend“, zieht mit einem zweiten jährlichen Branchentreffen von Köln nach Peking. „Kids Cosmos“ soll im November zum ersten Mal den Chinesen die Vorzüge westlicher Kinderwaren klar machen. „Ein Wachstumsmarkt ist das allemal“, meint Messesprecher Volker De Cloedt, „denn früher liefen dort alle in Einheitskleidung herum. Und mit zunehmendem Autoverkehr brauchen die Chinesen auch bald Kindersitze.“

China soll es richten. „In China sind fast 290 Millionen Einwohner unter 14 Jahre“, sagt Oliver P. Kuhrt, Geschäftsführer der Kölnmesse GmbH. „Aufgrund der Ein-Kind-Politik konzentriert sich die Kaufkraft von vier Erwachsenen auf ein Kind.“ Dabei kann man sich ausrechnen, dass das Glück des Exportierenden nur von kurzer Dauer sein wird. Eben wegen besagter Ein-Kind-Politik. Denn weniger Kinder bekommen halt auch weniger Kinder. Schon im Jahr 2020 wird in China die Zahl der Erwerbsfähigen sinken und damit auch die Kaufkraft – das Durchschnittsalter liegt dann über dem der Amerikaner. Um 2050 wird jeder dritte Chinese älter sein als 60 Jahre. Die Inder, die zweite große umworbene Konsumentengruppe, werden schon heute immer weniger. Nur die Hersteller aus den schrumpfenden Industrienationen, die um sie buhlen, werden immer mehr.

Durch Exporte der Gefahr schrumpfender Märkte zu entgehen ist allein deshalb ein verwegener Plan. Hinzu kommt: Wer westliche Waren bezahlen kann, hat eine Wirtschaft im Rücken, die ihrerseits den Westen mit Waren zudecken kann. China schickt schon jetzt jährlich Spielwaren im Wert von rund einer Milliarde Euro nach Deutschland. „Spielzeug nach China exportieren“, sagt Playmobil-Geschäftsführerin Andrea Schauer, „ist wie Eulen nach Athen tragen.“

Hallo? Hat noch jemand eine Idee?


Ein verwegener Plan für die Zukunft der Windelindustrie: Man tausche ein Baby gegen drei Rentner


Also Plan B. Dabei kann man in Deutschland bleiben. Verzichten wir auf die Kinder, wir haben schließlich genug Alte! Bereits im Jahr 2030 wird jeder dritte Deutsche über 60 sein. Etwa 6,6 Millionen Deutsche sind dann über 80, etwa doppelt so viele wie heute. Und bis dahin werden es stetig mehr.

„Von der Wiege bis zur Bahre – immer Hartmann-Ware.“ Sagt Hartmann-Sprecher Harald Günter, und was so locker klingt, beschreibt den großen Strategiewechsel, den der Hygieneartikelhersteller aus Heidenheim in den vergangenen Jahren vollzogen hat. Hartmann steht gemeinhin für Fixies. Ein Fixies-Baby beschert dem Unternehmen bis es aus dem Windelalter heraus ist im Schnitt einen Umsatz von 1250 Euro pro Jahr. Doch statt Babys schützt Hartmann zunehmend Alte vor dem Auslaufen.

„Babywindeln sind ein schrumpfender Markt“, meint Günter. Derzeit werden in Deutschland rund 2,8 Milliarden Stück pro Jahr verkauft. In zehn Jahren dürften es nur noch zwei Milliarden sein, haben die Fixies-Produzenten ausgerechnet. Gegenläufig dagegen ist der Trend bei Inkontinenzwindeln für Erwachsene. Heute werden in Deutschland jedes Jahr rund 1,26 Milliarden Stück verkauft, in zehn Jahren sollen es knapp zwei Milliarden sein.

Hartmann hat bereits 1984 seine erste Erwachsenenwindel produziert. Das Unternehmen hält auf dem deutschen Markt mittlerweile einen Anteil von 40 Prozent. Dessen Anteil am Konzernumsatz hat sich innerhalb von zehn Jahren auf ebenfalls 40 Prozent verdoppelt. Und was ist mit den Fixies, mit ihrem Elf-Prozent-Anteil  am  Konzernumsatz?  Die  Produktion  hat Hartmann bereits verkauft, das Geschäft mit den Discountmärkten beendet. Ansonsten will man mit dem deutschen Markt schrumpfen.

Weg von den Jungen, hin zu den Erwachsenen, den Senioren. Cremes für die reife Haut. Autos, in die man auch mit Hüftschaden steigen kann. Telefone mit großen Tasten. Reisen für mobile Alte. Functional Food statt Babykost. Wie schön das klingt. Wenn man davon ausgeht, dass die künftigen Alten nichts anderes zu tun hätten, als ihr Geld, ihre Kaufkraft wie ein Füllhorn über der darbenden Wirtschaft auszuschütten. Aber wie sollten sie das tun? Sie leben zwar länger, aber das heißt auch, dass sie länger mit ihrem Geld auskommen müssen.

Sicher ist, dass die Älteren weniger Geld haben werden für die klassischen Konsumgüter. Denn sie müssen für Alter, Krankheit und Pflege vorsorgen, weil der Staat das nicht mehr leisten wird. Es sei durchaus denkbar, dass Arbeitnehmer im Jahr 2050 trotz steigender Produktivität rund 80 Prozent ihres Einkommens für die Vorsorge ausgeben, hat Bevölkerungswissenschaftler Birg ausgerechnet. Das wäre das Doppelte des heutigen Satzes. Die Folgen für den Konsum dürften katastrophal sein. „Ich kann mir gut vorstellen, warum das kein Wirtschaftswissenschaftler durchrechnet“, sagt Birg, „Ignoranz verhindert Panik.“

Das wäre der schlimmste Fall. Doch auch der wahrscheinliche müsste Produzenten die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Nach Berechnungen des Bonner Sozialforschers Meinhard Miegel geben künftige Generationen mindestens 60 Prozent ihres Einkommens für die Vorsorge aus, rund 20 Prozent mehr als heute. Die Hoffnung auf wie von Sinnen konsumierende Alte kann man deshalb laut Miegel begraben.

Die Aussichten in Sachen Konsum sind also schlecht. Aber es kommt noch dicker. Weniger Kinder bedeuten auch weniger künftige Erwachsene, die man anzapfen kann. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 715 000 Kinder geboren, knapp 100 000 weniger als 1997. In 20 Jahren brauchen wir deshalb ungefähr 50 000 Wohnungen und Autos weniger.

Himmel, was sollen wir tun?


Wenn der Kuchen kleiner wird, muss man größere Stücke abbeißen. Und notfalls auch die Finger der Konkurrenten


Es bleibt der Klassiker des betriebswirtschaftlichen Denkens: verdrängen. Sich gegen die Konkurrenz durchsetzen. „Wenn der Kuchen kleiner wird, muss ich mir ein größeres Stück rausbeißen“, sagt Dirk Küster von Sicartex. Das Unternehmen aus Hof stellt Autokindersitze her, und Küster spürt schon heute die Folgen des Geburtenrückgangs. „Ohne Drumherum kriegen Sie heute keinen Sitz mehr verkauft.“

Verkaufsleiter Küster versucht mit Sicartex eine Doppelstrategie: Seit Januar bietet das Unternehmen auch preisgünstige Babyschalen für 49 Euro an, „um wirklich jeden Kunden abzugreifen“. Außerdem kämpft er um alle künftigen Mütter und Väter.

Die sollen irgendwann möglichst Sicartex-Kinder gewesen sein. „Jeder soll wissen, dass er zwölf Jahre seines Lebens in einem unserer Sitze gesessen hat.“ Also verlost Sicartex seit Januar Kindergeld, 500 Euro monatlich für ein Jahr. Und ab September werden Sicartex-Kinder ein Jahr kostenfrei unfallversichert. In der Hoffnung, dass sie als Erwachsene der Marke treu bleiben.

Exportieren, die Alten bedienen, verdrängen. Wer sich bei deutschen Unternehmen nach den Plänen für die demografische Zukunft umhört, bekommt die üblichen betriebswirtschaftlichen Strategien erzählt. Obwohl absehbar ist, dass sie nicht aufgehen werden. Nicht auf Dauer. Und nur für Wenige.

Zukunftsforscher Klaus Burmeister vom Essener Büro Z-Punkt ist überzeugt, dass das betriebswirtschaftliche Denken nicht mehr reicht. Er geht davon aus, dass die meisten Unternehmen die Entwicklung einfach verschlafen werden, ratlos, planlos. „Es ist ein volkswirtschaftliches Problem, keiner sieht ein, dass sich ganze Marktstrukturen verändern müssen.“

Warum sollte man nicht gemeinsam Stückzahlen senken? Warum können nicht sieben kleine Kinderwagenhersteller in Russland gemeinsam Marktforschung betreiben, um dann die jeweils eigenen Schlüsse zu ziehen? Warum kann man nicht darüber sprechen, etwas weniger Geld zu verdienen? Warum nicht gemeinsam Alternativen zu Entlassungen entwickeln?

Burmeister kann das fragen. Er steckt nicht in der Mühle eines Unternehmens. „Wenn ein Manager so etwas sagt, wird er abgestraft“, sagt Burmeister, „darüber spricht man nicht.“

Es ist wie bei den drei Affen: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Die Betriebsblinden denken bis zum nächsten Halbjahresbericht oder zur nächsten Aktionärsversammlung. Warum sollte ein Manager 20 Jahre vorausschauen, wenn er in fünf Jahren bei einem anderen Unternehmen ist? Der Manager denkt an seine Karriere. Er glaubt an Zahlen, die immer größer werden müssen. Weil seine Chefs genauso gläubig sind. Er denkt im Wettbewerb. Und in dem denkt jeder nur an sich. Auch wenn er gemeinsam mit anderen über die Klippe geht.

Ein Paradigmenwechsel also: vom Wachstum zur Schrumpfung, vom Wettbewerb zur Kooperation. Nur: Wer soll anfangen? Wer gibt sich die Blöße? „Darüber müssten die Unternehmensverbände reden“, sagt Burmeister. Und fügt hinzu: „Aber erst wenn es schmerzt, geht man zum Arzt. Es wird wohl noch eine Zeit abwärts gehen.“


Ein leises Wort der Vernunft im Lärm der allgemeinen Panik: Man muss nicht jeden Quatsch mitmachen


Einige sind dabei schon recht weit gekommen, und sie werden zu Vordenkern, weil die Realität ihre Illusionen zerpflückt hat. Wie Karstadt. Karstadt will nicht nur planen – Karstadt muss planen. „Karstadt lebt schon im Schrumpfungsprozess, da kann ich ganz offen über Rückzug reden“, sagt Hans-Werner Abraham, Chef der strategischen Unternehmensplanung. Gerade hat KarstadtQuelle einen Halbjahresverlust von 289 Millionen Euro eingefahren. Abraham sieht die Krise als Chance. Vielleicht verpasst der Konzern gerade deshalb nicht die demografische Wende. „Das Problem haben die Firmen, deren Umsätze noch steigen“, sagt Abraham. Und die damit Illusionen erliegen.
Vor fünf Jahren hat der Chefplaner die nächsten Halbjahreszahlen ignoriert und sich stattdessen eine Deutschlandkarte besorgt. Landkreis für Landkreis ist er durchgegangen auf der Suche nach Gebieten mit schrumpfender, alternder Bevölkerung. Er hat eine 15-Seiten-Studie geschrieben und sie den Verkaufsleitern präsentiert. „Alle wussten das irgendwie“, erinnert sich Hans-Werner Abraham, „aber niemand ahnte, wie schlimm es wirklich ist.“

Karstadt hat sich darauf eingestellt und fährt die Investitionen in den Einzelhandel zurück. Vergangenes Jahr waren es mit 200 Millionen Euro noch halb so viel wie 1995. Statt neue Warenhäuser zu eröffnen, verstärkt der Konzern den Versandhandel. „Wenn Sie bauen, muss der Laden 30 Jahre laufen“, sagt Abraham. Das funktioniert schlecht, wenn die Käufer mit der Zeit weniger werden. Versandhandel dagegen ist ein flexibles Geschäft.

Ob sich Karstadt aus schrumpfenden Regionen zurückziehen wird, steht noch nicht fest. „Wir werden unsere Immobilien aber alternativ nutzen“, orakelt Abraham. Wie, will er nicht sagen. Über den angeblich wachsenden Seniorenmarkt macht er sich keine  Illusionen.  „Der  rettet  uns  nicht.  Warum  sollte  sich  der 60-Jährige von morgen anders verhalten als der 60-Jährige von heute? Und der spart.“ Natürlich wird Karstadt seine Warenhäuser altengerecht umbauen, mit entsprechenden Produkten, Sitzbänken und spiegelfreien Flächen. Aber das kann nicht die Lösung sein.

Schrumpfung wäre eine Alternative, meint der Stratege. „Wie sollen wir in der Zukunft bestehen, wenn wir schon jetzt sinkende Zuwachsraten schlimm finden? Wir können froh sein, wenn überhaupt noch was wächst.“ Und dann sagt er, so als Privatmann: „Ich wäre für einen geordneten Rückzug. Wir sind keine Wachstumsgesellschaft mehr. Wenn wir nicht umdenken, werden wir alle gemeinsam gegen die Wand laufen.“

Aber wie soll man das anstellen, das Schrumpfen, das Anpassen an den Markt? Man müsse zumindest nicht alles mitmachen, meint Abraham. Verkaufsflächen vergrößern, obwohl der Quadratmeter mit 3400 Euro rund ein Fünftel weniger einbringt als vor zehn Jahren. Die Läden mit überflüssiger Jugendmode füllen, die Öffnungszeiten noch mehr ausweiten, noch mehr Produktvarianten unters Volk bringen. „Eben Schluss machen mit dem Immer-mehr-desselben.“


Die Alternativen: Armut für alle oder an die Gemeinschaft denken. Noch haben wir die Wahl


Schluss machen. Aufhören mit dem Verdrängungskampf und dem Wachstumswahn. Gesundschrumpfen. Ist das der Plan für die Zukunft? Hartmut Speth hat seine Zweifel. Speth ist der Vertriebschef von Storchenmühle aus Marktleugast. Die Firma produziert Autokindersitze, Kinderwagen, Kinderstühle, Laufställe und die Hopsi-Springhose, die man am Türrahmen befestigen kann. „Vor acht Jahren haben wir gemerkt, dass der deutsche Markt eng wird“, sagt Speth. Ein Verkaufsrückgang von acht Prozent in den vergangenen fünf Jahren steht in seinen Büchern. Exporte nach Benelux und in die Türkei haben den Einbruch aber wettgemacht. Storchenmühle ist trotzdem rapide geschrumpft. Vor zwei Jahren wurden 120 Näherinnen beschäftigt, jetzt sind es noch zehn; ein Großteil der Produktion befindet sich inzwischen im Ausland.

Schrumpfen durch Entlassen ist nur begrenzt machbar. Und dann? „Wir sind Gefangene unserer Technik“, sagt Speth. „Wenn unsere Stanze einmal zuschlägt, haben wir 100 Sitzbezüge. Und was soll ich aus unserer Produktionshalle machen? Die ist 6000 Quadratmeter groß. Soll ich da Tennisplätze reinbauen? Ein Heizwerk gehört auch noch dazu.“ Speth macht eine kurze Pause. „Wir müssen auf Gedeih und Verderb wachsen. Manchmal schläft man schlecht.“ Noch eine Pause: „Und wenn Sie schlecht sind, werden Sie ausgetauscht.“ Storchenmühle wird im Herbst mit einem größeren Konkurrenten fusionieren.

Kein Plan, nirgends?

Was ist mit den Bereichen, in denen es trotz demografischen Schrumpfens noch Wachstum geben wird, zumindest potenziell? In Märkten, in denen es um Technik und Wissen geht. In der Versicherungs- und Pflegebranche vielleicht. „Nicht jeder kann ein Hochbegabter sein“, sagt Klaus Burmeister von Z-Punkt. Doch das ist auch nicht nötig. „Das ist eine Frage der Werte. Woher kommst du, was machst du – das sind bislang die Fragen, mit denen wir Werte messen. Aber das muss nicht sein.“ Werte sind wandelbar. Vielleicht ist ein Wertewandel der beste Plan für die Zukunft.

„Wir werden auf breiter Front eine Absenkung des Lebensstandards erleben“, sagt der Bonner Sozialforscher Meinhard Miegel. Er findet das grundsätzlich nicht tragisch. „Wir haben so viel, dass wir abspecken können. Dann schneidet der Frisör dem Bäcker die Haare für nur 12 Euro statt 15, und der Bäcker backt fünf Brötchen weniger. Das Lebensniveau sinkt für beide gleichmäßig.“ Aus großen Brötchen werden kleine, aus zwei Urlauben pro Jahr einer. Das ist kein Problem, solange alle gleichermaßen abspecken. „Wobei ich nicht ausschließen will“, sagt Miegel, „dass es in zehn Jahren holterdiepolter geht. Denn jetzt wird die Zeit knapp.“

„Wir bilden uns ein, wir wären Bewältigungskünstler“, sagt der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg. „die Politiker, Unternehmer, auch die meisten anderen Leute. Wenn sich das nicht ändert, werden wir einen ungekannten Verteilungsstress erleben. Wenige werden ganz viel haben, und viele ganz wenig.“ Es könnte natürlich auch ein Planziel sein, genau das zu verhindern. Denn wer nichts hat, kann auch nichts kaufen. Da können Unternehmen etwas tun, dafür braucht es keine Politiker.

Vielleicht muss man klein sein, um das zu verstehen. So wie Christiane Wegner mit ihrer Kinderwagenmanufaktur in Marktzeuln. Mit sieben Angestellten baut sie seit sechs Jahren individuelle Kinderwagen zusammen. Sie weiß Bescheid über die Demografie und den Kaufverlust: „In zehn Jahren erwischt uns das wie eine Keule.“ Zurzeit verkauft sie jedes Jahr „ein paar Tausend Teile“ in Deutschland und Europa.

Christiane Wegner erforscht den Markt, indem sie sich alle zwei Wochen selber in den Laden stellt. Auf der Suche nach Ausweichprodukten spricht sie mit den Hebammen. Demnächst will sie den Seniorenmarkt sondieren – indem sie in der Gemeinde den Alten zur Hand geht. Mit dem Pastor aus Marktzeuln ist das schon besprochen. „Man muss Geduld haben“, sagt Christiane Wegner, „vielleicht entwickelt sich daraus ein neues Produkt, in ein oder zwei Jahren, bevor die Demografie zuschlägt.“

Christiane Wegner hat noch niemanden entlassen. Sie produziert nur in Deutschland, außer den Korbflechtern sitzen ihre rund 40 Zulieferer hier. Warum sie das macht? Die Frage ruft leichtes Erstaunen hervor. „Damit wir in 20 Jahren auch noch Kunden haben. Erst die Produktion ins Ausland verlagern und dann über Absatzrückgang klagen – das ist doch Blödsinn.“

Einen Plan würde sie das nicht nennen. --

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