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brand eins, Februar 2005                                                                                                    zurück zur Übersicht

Was ist cool?

Sie sind wichtig.
Denn sie haben viel Geld.
Aber sie sind leider unberechenbar.
Vom verzweifelten Versuch,
Jugendliche als Kunden zu gewinnen.

• Schon mal versucht, etwas an einen Mythos zu verkaufen? Unzählige Unternehmen versuchen das Tag für Tag. Unternehmen, die mit ihren Marken auf eine ebenso attraktive wie flüchtige Gruppe zielen: die Jugend.

Das Interesse ist verständlich. Laut einer Studie des Münchener Instituts für Jugendforschung (IJF), einer Tochter der Unternehmensberatung Roland Berger, beliefen sich die Einnahmen der 13- bis 20-Jährigen in Deutschland im Jahr 2004 auf 21,1 Milliarden Euro. Jeder Jugendliche hatte durchschnittlich rund 1700 Euro zur frei Verfügung, das sind sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Zwei Drittel aller Jugendlichen sparen, das Guthaben beträgt im Durchschnitt pro Person knapp 2000 Euro.

Doch nicht nur deswegen sind Jugendliche als Zielgruppe so interessant: Sie sind auch Töchter und Söhne. „Jugendliche bestimmen in zunehmendem Maße die Kaufentscheidungen in der Familie“, sagt IJF-Leiterin Karin Fries. Wenn Erziehung nicht mehr autoritär funktioniert, fallen auch Konsumentscheidungen erst nach gemeinsamen Verhandlungen. Jugendliche gelten deshalb als Brücke zu den erwachsenen Verbrauchern.

Das Problem ist nur, dass ausgerechnet diese Gruppe alles will – nur nichts von Erwachsenen verkauft bekommen, die zu wissen glauben, was sie begehrt.

Jeder war mal jung. Aber das nützt überhaupt nichts, wenn man junge Kunden ködern will

So ist zu erklären, dass Hersteller nirgendwo so viele Überraschungen erleben wie im Jugendsegment. Was ein Rapper oder ein Filmstar trägt, kann unversehens zum Kult werden – allerdings nur dann und auch nur so lange, wie die Jugendlichen das Gefühl haben, sie hätten selbst gewählt. Merken sie Absicht, sind sie verstimmt – und wechseln zum nächsten noch uncoolen Produkt, das dann eventuell cool werden kann. Aber nicht muss.

Für Marketing-Experten ist das, freundlich gesagt, eine Herausforderung.

Das Problem beginnt bei der Definition. Wenn stimmt, dass über eine Sache besonders viel geredet wird, wenn man besonders wenig von ihr versteht, dann ist Jugend eine Terra incognita. Einerseits ist Jugend ganz schlicht: nicht mehr Kind und noch nicht erwachsen. Andererseits ist kaum eine Gruppe derart unübersichtlich, was zahllose Versuche nach sich zieht, die Masse in ansprechbare Segmente aufzuspalten.

Geschlecht ist noch einfach. Beim Alter geht’s schon los: Neun Jahre Lebenszeit zwischen 10 und 18 werden aufgespalten in Segmente, von Pre-Teen über Youth und First Young Adult, an den sich der Young Adult anschließt. Oder die Szene: Kernszene, aktive Konsumenten, Mainstream-Szene. Oder Lebensstile, gleich zehn verschiedene. Im Angebot sind unter anderem: Aktiv-Aufgeschlossene, distinguierte Hedonisten, Adaptierende, Girlies und Jugendliche, die „ritualisierte Männer-Kultur“ betreiben. Oder was im Kopf ist: Minded Beginner, Minded Start-Ups, Minded Professionals.

Und das ist nur die eine Seite. Auch auf der Produktebene des Jugendmarketings wird fleißig unterschieden. Bin ich Leistungsmarke, übergreifende Labelmarke, elitäre Leistungsmarke oder Szenemarke? Ego Sign, Shared Basic oder Functional Standard? Oder was?

Kein Wunder, dass die Matrix verrückt spielt. „Gruppe ist die einzige Kategorie, die wir haben“, sagt Karin Fries, „auch wenn sie nicht toll ist.“ Pseudo-Abgrenzung oder Verwässerung – beide Gefahren drohen. Dabei hat Gruppenbildung beim Jugendmarketing durchaus Sinn, schließlich orientieren sich Jugendliche im realen Leben auch an Gruppen. Wenn nur nicht die Zeitachse neben Gruppe und Markentyp die dritte Dimension eröffnen würde. „Szenen wandeln sich unendlich schnell“, sagt Fries, „sechs Wochen hier, acht Wochen da, alles ist durchlässig.“

Was Jugendliche zu verbinden scheint, ist ein ausgeprägtes Markenbewusstsein. Laut der aktuellen »Bravo«-Faktor-Jugend-7-Studie der Bauer Media KG sind 77 Prozent der Jugendlichen der Ansicht, dass Markennamen immer wichtiger werden. Die entscheidende Frage ist nur: Wie platziert ein Unternehmen welche Marke bei welcher Gruppe? Oder einfacher gefragt: Was ist cool?

Die Killerfrage. „Das ist Chaostheorie“, sagt Karin Fries. Was nichts daran ändert, dass ein Unternehmen sich diese Frage beantworten muss, will es erfolgreich Jugendmarketing betreiben. Fries kann nur raten, genau zu beobachten, was so passiert, auch nebenbei: in Clubs gehen. Regelmäßig MTV gucken. Vor allem: MTV gucken. Das ist der Hoffnungsträger, der den Trend führt. Und wohin guckt MTV?

„Wie ein Trend entsteht, kann man nicht beeinflussen“, sagt Tobias Dettling, Chef der deutschen Research-Abteilung von MTV. Aber man kann ihn zumindest erkennen und draufspringen. Bei MTV arbeiten sich weltweit rund 100 Jugendforscher an der Zielgruppe ab. „Alter als Segmentierung haben wir aufgegeben“, sagt Dettling, „jetzt interessieren uns Werte.“ Wie ist der Stand? „Hedonismus nimmt ab, Authentizität zu, genauso wie Happy Pessimism.“ Was bedeutet: Die Welt geht den Bach runter, aber ich persönlich werde schon durchkommen.

Die Jugendforscher bilden ihre Fokusgruppen aus Szenetypen und Massenmenschen und quetschen sie aus. Sie wollen wissen, wie die coolen Typen aus der Schule zu Hause leben und was sie im Kühlschrank haben. Sie lesen Marktforschungsberichte und Magazine. Viermal im Jahr gleichen sie europaweit ihre Ergebnisse ab, einmal im Jahr weltweit.

Das ist ein großer Aufwand. Den vor allem Firmen und Agenturen betreiben, die es sich leisten können. Bei den einen ist die Fokusgruppe etwas größer, dafür stellen die anderen eine Videokamera auf, um auch die Körpersprache zu studieren. Die einen verteilen Fragebögen, andere führen lange Gespräche. Die einen fragen nach Werten, andere nach dem Bekanntheitsgrad von Coca-Cola. Am Ende wissen alle, dass Freunde wichtig sind und Spaß und Erleben bei Jugendlichen eine große Rolle spielen.

Was entsteht, ist eine Beobachtungsschleife. Agenturen und Marketing-Abteilungen der Unternehmen gucken, was bei MTV und Konsorten abgeht; MTV guckt bei den Jugendlichen, was sie, mitunter von Wertvorstellungen getrieben, von eben diesen Unternehmen gekauft haben. Alle lesen dieselben Marktstudien. Man könnte das auch Selbstbespiegelung nennen.

Endlich eine Erkenntnis: Auch junge Leute haben Grundbedürfnisse

„Marktforschung bringt nicht viel“, sagt Oliver Perzborn vom Hamburger Trendbüro, „denn alle finden dasselbe raus.“ Das ist ein Problem, auch auf dem Jugendmarkt. Wo soll der Unterschied herkommen, wenn alle dieselbe Antwort bekommen auf Fragen wie: „Wie sieht dein idealer Hamburger aus?“ Unterschiede entstehen durch Ignorieren – wobei anders zu sein noch kein Erfolgsrezept ist. Kauft einer den Burger wegen des Geschmacks, der Verpackung oder wegen der netten Bedienung hinterm Tresen? Sieht das der nächste Käufer genauso? „Der Konsument bleibt eine Blackbox“, sagt Perzborn, „da hilft alles nichts.“

Doch wozu dann überhaupt Forschung im Jugendmarkt? Wozu all das Segmentieren?

Ingo Barlovic von Iconkids & Youth, einem der größten deutschen Forschungsinstitute mit diesem Schwerpunkt, hat einen Verdacht: Agenturen bliesen die Schwierigkeiten beim Jugendmarketing übermäßig auf, um einen angeblichen Kompetenzvorsprung zu demonstrieren. Das ziehe zwangsläufig eine Spezialisierung nach sich, was zu eingeengten Kampagnen führe. Durchaus zum Nachteil des Herstellers, der seine Marke platzieren will: „Jugend ist nur zum Teil cool und trendy und innovativ“, sagt Barlovic, „die Mainstream-Kunden werden vergessen.“

Barlovic hält nichts von Szenen als Vehikel, um Zielgruppen zu identifizieren: Szenen seien oftmals zu klein, als dass sie eine große Kampagne rechtfertigten. Wer eine preisbewusste Kampagne fahren wolle, müsse sie deshalb oft zwangsläufig verwässern, um ein größeres Publikum zu erreichen. Und dabei riskieren, es niemandem recht zu machen, weil man es vielen recht machen will.

Gibt es einen Ausweg? Barlovic setzt auf so genannte Core Needs, grundlegende Bedürfnisse, die alle Jugendlichen teilen. „Damit können Sie in jede Szene gehen.“

Dazu gehören: sein eigenes Ding machen, träumen, Spaß haben, Gerechtigkeit und Freundschaft; das sind laut Barlovic grundlegende Bedürfnisse: „Die Frage ist nicht das Was, sondern das Wie.“

Wie aber kommt die Marke in die Köpfe der Jugendlichen? Sicher ist: „Man kann den Jugendlichen nichts mehr hinknallen und ‚Kauf mich!‘ rufen“, sagt die IJF-Leiterin Karin Fries. Zu groß ist die Masse der Werbung, zu gut sind die potenziellen Käufer informiert.

Sicher ist auch, was eine Marke bei Jugendlichen zur akzeptierten Marke macht: „Alle tragen sie, jeder hat oder will sie“, gaben 67 Prozent der befragten Jugendlichen in der »Bravo«-Faktor-Jugend-7-Studie an, 36 Prozent nannten Präsenz in der Werbung und in den Medien, 23 Prozent war es wichtig, dass die Marke Gesprächsthema ist.

Wie wird man zum Gesprächsthema?

Chips schmecken vielleicht, aber sie sind nicht cool. Da ist Werbung einfach

Relativ leicht hat es, wer ein Produkt wie Kartoffelchips anbieten kann. Die „Core Needs“ sind dabei schnell identifiziert. „Teenager wollen Spaß haben und mit Freunden knabbern“, sagt Frank Dopheide, Chairman der Werbeagentur Grey Worldwide in Düsseldorf.

Grey hat Pringles in Deutschland groß gemacht und gezeigt, wie man Kartoffelchips mit viel Geld in den Markt drückt – und dort hält. Man presst die Chips in eine neue Form, wählt statt der Tüte eine Dose, übernimmt den erprobten amerikanischen Claim „Once you pop, you can’t stop“ und deutscht ihn ein in „Einmal gepoppt, nie mehr gestoppt“. Man schaltet Spots und Anzeigen mit jungen, glücklichen Menschen, die auch auf dem Uni-Campus Chips essen, immer wieder, bis die Welle irgendwann rollt. Das funktioniert überall auf der Welt. Pringles – eine globale Marke. Inzwischen verkauft Procter & Gamble davon weltweit rund eine Milliarde Dosen pro Jahr.

Nun sind Chips nichts, womit sich ein Jugendlicher wirklich identifiziert. Sie schmecken vielleicht, aber sie sind nicht cool. Pringles haben’s leicht.

Titus Dittmann hingegen hat es schwer. Eigentlich. „Skateboarden ist eine Glaubensrichtung, es ist ein Glaubenskrieg, und ich stehe zwischen den Fronten“, sagt er. Mainstream versus Hardcore. Und Dittmann mittendrin.

Titus Dittmann ist Deutschlands bekanntester Händler für Skateboards, Snowboards, Streetwear, BMX-Räder. Das Grundbedürfnis „Spaß“ zu identifizieren, hilft ihm nicht weiter: „Es gibt keine Jugend, es gibt nur Abgrenzung.“ Dittmann bedient die Abgegrenzten, die Grüppchen. Sein Pfund ist: Glaubwürdigkeit. Er weiß, dass Skater und Inline-Skater nicht dasselbe sind.

Sobald man beim Jugendmarketing den Mainstream verlässt, wird die Macht des Marketingbudgets in dem Maße kleiner, in dem die Macht des Images einer Ware wächst. Es reicht nicht mehr zu sagen, dass etwas cool ist – es muss cool sein. Es muss also von den richtigen Leuten kommen.

Von Leuten wie Dittmann. Er ist jetzt Mitte 50, organisiert seit mehr als 20 Jahren die Skateboard-Weltmeisterschaften, geht auf Konzerte und in Skaterparks, und er trägt dabei keinen Anzug. Wer in seinen Franchise-Läden Titus-Marken verkauft, sollte nicht nur aussehen wie ein Skater, er sollte auch einer sein. „Ich komme nicht aus der Erwachsenenwelt, die die Jugendlichen aus dem Seminar kennt“, sagt Dittmann, „wir brauchen keine Trendscouts, wir sind ein Teil der Szene.“ Wenn er wissen will, was läuft, setzt er eine Umfrage auf seine Homepage, die im Monat zehn Millionen angeklickte Seiten verzeichnet. „Wir sind so etwas wie eine Glaubensgemeinschaft.“

Jugendmarketing? Dittmann winkt ab. „Jugend ist ein Kaugummibegriff geworden, alle machen auf jugendlich. Sich in die Szene einfach hineinversetzen, das klappt nicht. Was herauskommt, ist sowieso irrational.“

Titus Dittmann gilt inzwischen als der Seismograf für den Jugendmarkt. Wenn Dittmann ausschlägt, muss was dran sein. Die deutsche Motorradindustrie vertraut seiner Titus Communications GmbH ein 600 000-Euro-Budget an, um mit Livbebands und Stuntshows Motorradfahren wieder populär zu machen. Auch Adidas, Diebels und DaimlerChrysler haben ihn eingekauft.

Vieles spricht dafür, dass das etablierte Jugendmarketing jenseits des Massengeschäfts nicht viel mehr sein kann als ein Stochern im Nebel. Dass es nicht mehr sein kann als ein ewiges Spiel aus Versuch und Irrtum.

Wenn es die Jugend nicht selbst macht.

Wie die Leute vom »Spiesser« in Dresden. Angesichts der Geschichte von »Spiesser« kann man schon ins Grübeln kommen, ob Freundschaft, Spaß und Träumen, ob Hip-Hop, Girlie oder First Young Adult wirklich die Marketing-Kategorien sind, die zum Erfolg führen. Vielmehr scheinen diese Segmente den Blick auf das Wesentliche zu verstellen: den Inhalt, das Produkt.

Könnte man Jugendliche einfach ernst nehmen? Auf so eine Idee können nur Laien kommen

Die Jugendzeitschrift »Spiesser« hat es in zehn Jahren von 5000 auf 200 000 Auflage gebracht. Sie liegt an rund 4400 Stellen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen aus, in Schulen, Clubs und McDonald’s-Filialen, nur fünf Prozent der Hefte werden ungelesen wieder eingesammelt.

Und der »Spiesser« wächst rasant. »Bravo« hingegen verlor seit 1996 fast zwei Drittel der Auflage und leidet nunmehr bei rund 580 000 Exemplaren.

Das Geheimnis des »Spiesser«-Marketings? „Ehrlichkeit“, sagt Gründer und Herausgeber Frank Haring. Beim »Spiesser« schreiben Schüler unter Führung eines Profi-Journalisten über das, was sie sehen, fühlen, erleben.

Nicht über die Villa von Beyoncé.

Nicht über Probleme mit dem ersten Freund.

Nicht über lackierte Fingernägel.

Sie schreiben über ein Austauschjahr in der Ukraine und darüber, wie einer aus der Gegend eine Modemarke gründet. Es gibt Inhalt, der nicht nur Spaß macht, sondern auch Nutzen bringt. Und es gibt Auseinandersetzung: „Die meisten Zuschriften bekommen wir zu Nazi-Themen.“ »Spiesser« veranstaltet keinen Skater-Event, sondern einen Schülerkongress zur Schulpolitik, die Jugendumwelttage und die Schülerwirtschaftstage. „Inzwischen bekommen wir E-Mails aus dem Westen“, sagt Haring. Tenor: „Wir wollen uns nicht mehr berieseln lassen!“

Tatsächlich ist praktiziertes Jugendmarketing vielfach reine Oberflächenbehandlung. Wie groß die Ratlosigkeit dabei ist, lässt sich an der Vielzahl lieblos aufgedruckter Snowboarder auf Produktpackungen ablesen. Oder an den Stars, die zur Primetime die Werbeblöcke aufmotzen, in Deutschland bei zwölf Prozent, in den USA bereits bei 20 Prozent der Spots.

Das Instrumentarium scheint ausgereizt. Anzeigen in Zeitschriften? Schwierig, weil die Leserzahlen zurückgehen. Fernsehen? Ebenfalls rückläufig. Schon wieder ein Event, diesmal mit Gokarts statt mit BMX-Rädern, mit grünen Haaren statt blauen? Noch eine neue Art, den umworbenen Jungkonsumenten auf möglichst ausgefallene Art durch die Luft zu wirbeln? Es war alles schon mal da, Langeweile macht sich breit. Und die Wirkung? „Man kann Events machen, so viel man will“, winkt Ingo Barlovic von Iconkids & Youth ab, „man erreicht vielleicht 20 Prozent der Zielgruppe, und die ist auch schon längst überreizt von der Vielzahl der Veranstaltungen.“ Und wann schafft es ein Event schon mal ins Fernsehen, damit wenigstens ein bisschen Massenwirkung entsteht?

Künftig sollen Mobiltelefon und Computer die neuen Kanäle sein. Mobile Marketing, interaktive Webseiten, Weblogs. Alle paar Minuten ein neuer Gimmick in den Speicher. Die Jugendlichen, heißt es, seien viel empfänglicher für diese Art der direkten Ansprache als die Erwachsenen. Wahrscheinlich aber nur so lange, bis Mailbox und SMS-Speicher so voll sind, dass die Freundin nicht mehr durchkommt.

Jenseits des Hype-Geraunes vollzieht sich der Rückzug zum Gewohnten. „Kontaktzahlen sind wieder das Relevante“, sagt Marco Gehlken, Marketingleiter von Mapa, dem Hersteller der Kondommarke Billy Boy. Von seinem Budget fließen derzeit rund 30 Prozent in die klassische Werbung, dreimal so viel wie noch vor fünf Jahren. Events wie Love Academy und Latex Control werden zurückgefahren. „Die Geldgeber sagen oft, das bringt doch alles nichts“, klagt Gehlken. Der Overkill an Aktionen zeigt Wirkung. Der Marketingchef sucht mit Kollegen des Young Brand Network nach wirklich neuen Ideen. „Aber uns fällt auch nichts ein.“

Auf der Suche nach der letzten werbefreien Zone haben Agenturen und Unternehmen die Schulen entdeckt. Knapp 13 Millionen Schüler an 34 000 Schulen – ein gigantischer Markt. „Ein sehr exklusives Umfeld“, sagt Christoph Zeuch, Geschäftsführer der Agentur Youngkombi in Hamburg, „von 7 bis 14 Uhr sind alle Jugendlichen Schüler, das gibt einen hohen Identifikationsgrad.“

Youngkombi vermittelt Anzeigenkunden an Schülerzeitungen, organisiert das Sponsoring für Abi-Feten und Sportfeste, hängt Plakate auf. Zweimal jährlich bekommen Schulsprecher die „Abi-Boxx“, in die Markenartikler ihre Pröbchen legen, in der Hoffnung, dass von der Glaubwürdigkeit der Multiplikatoren ein wenig auf sie abfärbt. Wenn ein Tamponhersteller seinen Platz im Sexualkundeunterricht sucht, erarbeitet Youngkombi ein Konzept.

Über mangelnde Resonanz kann Zeuch nicht klagen. Der aktuelle Jahresumsatz seiner Agentur liegt bei 1,6 Millionen Euro, vor vier Jahren, so Zeuch, war es gerade mal die Hälfte.

Geduld ist eine Tugend. Das gilt auch, wenn man junge Kunden gewinnen will

Schulmarketing kommt trotzdem nur langsam in Gang. Groß sind die Vorbehalte auf Seiten der Lehrerschaft, und kein Bundesland lässt der Werbung an ihren Schulen bislang freien Lauf. Auch die mächtigen Verbraucherschützer haben den Markt im Blick. Kellogg’s und Bahlsen haben sich Klagen des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen eingefangen: Kellogg’s druckte auf seine Cornflakes-Packungen so genannte Tony Taler, die Schüler gegen Sportmaterialien für die Schule eintauschen konnten. Bahlsen ließ auf ähnliche Weise für die Klassenfahrt sammeln.

So bleibt fraglich, ob Jugendmarketing an den Schulen die Probleme auf den anderen Kanälen wettmachen kann. Die Glaubwürdigkeit vieler Marken schwindet. Schuld daran sind die Markenartikler selbst. Weil sie ihre Zielgruppe, die Jugendlichen, nicht ernst nehmen.

„Jugendmarketing wird missbraucht“, sagt Marco Gehlken von Mapa. „Wenn sich Bankenvertreter auf einer Jugendmesse Jeanshosen anziehen und dann aus Gier ganz schnell Verträge machen wollen – das wirkt zerstörerisch.“ Und Dickjan Poppema, CEO von BBDO Campaign in Düsseldorf, rät: „Die erste Voraussetzung für erfolgreiches Jugendmarketing ist Geduld.“

Geduld. Langfristigkeit. Tatsächlich ist Jugendmarketing mehr als schnelle Verkaufe: Jugendmarketing rekrutiert die Kunden von morgen, für Produkte, die Jugendliche heute noch nicht die Bohne interessieren. Nicht Kundenbindung, Kundengewinnung.

BBDO ist verantwortlich für die aktuelle „Spießer“-Kampagne der LBS. Das Produkt: Bausparverträge. Gähn. Seit Jahren schon hält die LBS ihre Kampagne aufrecht, wohl wissend, dass kein Jugendlicher sofort einen Bausparvertrag abschließt, dafür mit dem Risiko, manch erwachsenen Bausparer vor den Kopf zu stoßen. „Extrem mutig“, nennt Dickjan Poppema die Strategie, auch gegen die Kunden von heute um die Kunden von morgen zu werben. Nicht jeder hält das lange durch, das Wissen um die Marketingkosten und die Ungewissheit, ob sich der Erfolg wirklich einstellt. Es gibt keine Zahlen für die Zukunft.

Bleibt noch der Weg, der so einfach ist, dass ihn die wenigsten gehen: die Jugendlichen bereits in die Entwicklung der für sie gedachten Produkte einzubeziehen. „Jugendliche sind Extremnutzer“, sagt Franz Liebl, Marketing-Professor an der Privaten Universität Witten-Herdecke. „Sie zweckentfremden, entwickeln neue Nutzungen für etablierte Produkte. Das zu ermöglichen und zu berücksichtigen ist strategisches Marketing.“

Wohl dem, der kein Geld für Marketing hat. Der kommt auf Ideen

Wer aufgreift, was die Spezialisten der Zielgruppe ganz praktisch tun, hat schon einen Teil der teuren Marktforschung an die Kunden delegieren können. Außerdem spart er kostspielige Fehlversuche und verhindert zugleich, mit einer Idee auf einem sehr schnelllebigen Markt zu spät zu kommen. Eigentlich geht es nur darum zu packen, was schon da ist.

Der österreichische Ski- und Snowboardhersteller Atomic setzt strategisches Marketing um. Für große Marktforschung sei das Budget sowieso viel zu klein, sagt Atomic-Austria-Geschäftsführer Michael Schineis. Mit Anzeigen und Werbespots seine Marke in die jugendlichen Köpfe zu prügeln würde auch nicht funktionieren, wegen der „Vergessenskurve“ des Saisongeschäftes.

„Die Zielgruppe muss Teil der Markenführung werden“, lautet Schineis’ Spruch. Das muss keine große Sache sein: Einmal im Jahr lässt Atomic via Internet weltweit rund 250 Kunden über Designentwürfe abstimmen. Atomic-Leute stellen sich mit neuen Modellen an den Skilift und sammeln Reaktionen. „Ich geb’ auch mal ein Snowboard umsonst raus, wenn ein Zwölfjähriger danach fragt“, sagt Schineis. Dann guckt er ganz genau hin, wenn das Snowboard nicht über Schnee, sondern über Treppen gejagt wird. Es könnte ja eine Idee für eine noch bessere Beschichtung herausspringen. Eine Idee, die die Wünsche des Kunden erfüllt.

Und was gibt’s Neues von der Marketingfront? Adidas streitet sich mit Nike und Tom Tailor darüber, wer zwei oder drei Streifen wo draufnähen darf. Und in den USA machen sich die Buzz-Agents breit. Eine Bostoner Agentur schickt Leute los, damit sie bei ihren Freunden verdeckte Mund-zu-Mund-Propaganda für ein bestimmtes Produkt machen, für Grillwürste, Jeans oder Cola. Dabei können sie Punkte sammeln und sich irgendwann ein Geschenk abholen. 25 000 Buzzer sind registriert, ein Drittel ist jünger als 25 Jahre. Mit der Viral & Buzz Marketing Association haben die Freunde der gesponserten Werbe-Kumpels nun auch in Deutschland Fuß gefasst.

Was war noch mal das Geheimnis des »Spiesser«-Erfolges? Genau: „Ehrlichkeit.“ --

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