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brand eins, Juni 2005                                                                                                        zurück zur Übersicht

Die Vertrauensfrage

Mitarbeiter sollten wissen, was in ihrem Unternehmen los ist, darüber besteht auch unter Führungskräften Einigkeit.
Aber wer soll es ihnen sagen? Und wie? Die Antwort auf diese Fragen wird spätestens dann drängend, wenn das Unternehmen in eine Krise gerät. Und das Gerücht zum wichtigsten Kommunikationsinstrument wird                        

•Der Kommunikations-GAU erwischte die 1800 betroffenen Mitarbeiter der Agfa Photo GmbH ausgerechnet am Feiertag, den 26. Mai 2005, Fronleichnam. Per Intranet teilte ihnen die Geschäftsführung die Insolvenz der Firma mit. Und dass die Juni-Gehälter nicht mehr gezahlt werden könnten.

Immerhin: Der Betriebsrat wurde am Abend zuvor informiert. Dummerweise waren da viele Mitarbeiter schon ins verlängerte Wochenende aufgebrochen. Zeit genug wäre gewesen: Den Insolvenzantrag hatte die Unternehmensleitung bereits eine Woche vorher beim Amtsgericht Köln eingereicht. Und von wirtschaftlichen Schwierigkeiten war zuvor nie die Rede.

Dummheit oder böse Absicht? Sicher ist: Kommunikation in Unternehmen besticht durch die außergewöhnliche Diskrepanz zwischen Meinen und Machen. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton unter den 300 größten börsennotierten Unternehmen Deutschlands messen 94 Prozent der befragten Führungskräfte einer schlüssigen Kommunikation eine hohe Bedeutung für den Unternehmenserfolg bei. Aber 41 Prozent der Unternehmen besitzen keine Kennziffern zur Messung der Kommunikationsleistung.

Wie funktioniert Informationsfluss von oben nach unten und umgekehrt? Wer redet wann wie mit wem über was? Wer schweigt? Welche Stimmung herrrscht? Wie wirkt sich die aufs Geschäft aus? Alles Fragen, die sich eigentlich stellen.

„Interne Kommunikation beschränkt sich in vielen Firmen auf die Mitarbeiterzeitung und das Intranet“, sagt Hans-Peter Meister, Geschäftsführer des Instituts für Organisationskommunikation (IFOK) in Bensheim. „Wer so denkt, verschenkt enormes Wertschöpfungspotenzial.“ Interne Kommunikation sei „nicht weniger als die zentrale Führungsfrage in jedem Unternehmen“.

Nur wird diese Frage längst nicht in jeder Firma gestellt. Es sei denn, der Betrieb gerät in eine echte Krise. So wie KarstadtQuelle. „Der letzte Herbst hat uns wachgerüttelt, denn wir hatten ein Riesenproblem. Da haben alle im Unternehmen gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann“, erinnert sich Jörg Howe, der Sprecher des Konzerns. Nach ellenlangem Gewerkel am maroden Unternehmen rückte plötzlich die Gefahr der Insolvenz in greifbare Nähe. Die Bude drohte den Managern um die Ohren zu fliegen. Sie mussten sich endlich äußern.

Howe spricht seit März 2004 für Karstadt-Quelle: „Als ich hier antrat, war die Kommunikationsstruktur genauso intransparent wie unsere Finanzen. Kommunikation galt nicht viel. Und Ruhe war erste Bürgerpflicht.“ Starre Hierarchien blockierten Diskussionen. Führungskräfte-Konferenzen hingen von der Laune des Vorstandsvorsitzenden ab. Im Intranet wurden nur positive Neuigkeiten verkündet; die Mitarbeiterzeitung »Maz« beschränkte sich auf Berichte über Sportfeste und Jubiläen. Informationen übers Eingemachte fanden die Mitarbeiter in der Presse.

„Spekulationen von außen sind das Schlimmste“, sagt Stephanie Frank, Betriebsrätin einer Hamburger Karstadt-Filiale. Entsprechend brodelte es im Konzern-Innern. Bei dem Betriebsratschef Wolfgang Pokriefke klingelten besorgte Mitarbeiter Sturm, weil sie von ihren Chefs nichts erfuhren. „Wir durften dann die schlechten Nachrichten verbreiten“, klagt Pokriefke.

Die Gerüchte brachten den Konzern noch mehr in die Bredouille. Bis auch dem Vorstand klar war, was Jörg Howe schon lange wusste: „Wir müssen unsere Leute einsammeln, sonst schaffen wir den Umbau nicht.“ Seitdem öffnen sich bei Karstadt langsam und knarrend die Türen. Der Vorstand verschickt Mitarbeiterbriefe, die Warenhauschefs werden wöchentlich auf dem Laufenden gehalten. Die rund 170 wichtigsten Leute des Konzerns treffen sich nicht mehr nur nach dem Zufallsprinzip. Aus dem Hurra-Blatt »Maz« soll ein „Forum für Diskussionen“ werden. Die Kommunikationsabteilung wird demnächst aus einem Nebengebäude wieder auf die Vorstandsetage ziehen.

Große Hoffnungen ruhen auf Thomas Middelhoff, dem Ex-Bertelsmann-Chef und neuen Karstadt-Quelle-Vorstandsvorsitzenden. „Der will wissen, was die Leute denken“, sagt Howe. Middelhoff wird künftig für jeden Mitarbeiter auf Wunsch auch anonym per E-Mail direkt erreichbar sein. Dass das keine Pseudo-Kommunikation sein muss, beweist Helmut Merkel, Vorstandsvorsitzender der Karstadt Warenhaus AG, dem seine Mitarbeiter schon seit einem Jahr schreiben können. Stephanie Frank hat es mehrfach ausprobiert: „Mit den Antworten konnte ich immer etwas anfangen. Das hat mich selbst überrascht.“

Es sind erste Schritte: Gute Werkzeuge machen noch keine gute interne Kommunikation. „Ob wir wirklich die relevanten Dinge erfahren“, fragt sich Stephanie Frank, „weiß ich nicht. Aber oft weiß der Betriebsrat mehr als der jeweilige Warenhauschef.“

Oben wird entschieden, unten erfahren die Leute das Nötigste – und die Mitte weiß oft von nichts

Dass Informationen auf dem Weg von unten nach oben und umgekehrt verloren gehen, ist nicht nur das Problem von KarstadtQuelle. Denn auf diesem Weg steht in jedem größeren Unternehmen: der Leitende Angestellte. „Das mittlere Management wird vernachlässigt“, sagt der IFOK-Chef Meister. Und dafür sei ebenfalls das Top-Management verantwortlich: „Die Treppe wird von oben gekehrt. Auch das ist eine Führungsfrage.“

Das mittlere Management rutscht schnell durch das Kommunikationsraster. Ganz oben werden die Dinge entschieden, ganz unten müssen die Leute das Nötigste erfahren, damit keine Revolution ausbricht. Die in der Mitte machen schon ihren Job – so einfach denkt sich das. Und so falsch ist es: Denn wenn die Mitte ahnungslos ist, sehen die unten auch die oben in schlechtem Licht.

„Selbst pflichtige Informationen erfahren wir oft viel zu spät“, klagt Joachim Betz, Vorsitzender des Unternehmenssprecherausschusses der Aventis Pharma Deutschland GmbH und Präsident des Deutschen Führungskräfteverbandes ULA. „Das ist nicht immer böser Wille. Die Chefs glauben, wir müssten sowieso alles wissen, weil wir so nah an der Führung dran sind. Dabei wissen selbst Vorstände oft nicht, was der Vorstandsvorsitzende denkt. Und umgekehrt.“ Was natürlich nie jemand zugibt. Betz stöhnt: „Wir mahnen penetrant. Dann wird sich entschuldigt. Ändern tut sich nichts.“

Mit der Belegschaft kann sich die Firmenleitung so etwas kaum erlauben. Auch Betz hat festgestellt, dass der Betriebsrat oft mehr weiß als er. Denn der hat das Betriebsverfassungsgesetz im Rücken, mit Vetorecht, wenn er seine Informationen nicht bekommt. Die Leitenden Angestellten haben nichts dergleichen.

Gefangen zwischen bohrenden Fragen von unten und Infohäppchen von oben klemmt das Scharnier aus mittleren Managern. Sie machen sich ihren eigenen Reim auf die Dinge und sagen weiter, was sie sich so denken. Der eine mehr, der andere weniger. Richtiges oder Falsches. Unten kommen dann die merkwürdigsten Dinge an. „Es gibt eben sehr unterschiedliche Sprachtalente“, sagt Betz. „Und wenn ich die Leute dumm halte, verlagert sich die Kommunikation auf den Büroflur.“

Dann aber kommt in Gang, was interne Kommunikation eigentlich verhindern soll: die Gerüchteküche, der Verkauf von weichem Quark als harte Fakten – der bald auch in der Öffentlichkeit breitgetreten wird. Wie bei Karstadt-Quelle: Im vergangenen Herbst war der Konzernsprecher Jörg Howe fast jeden Tag auf Sendung, um öffentlich zu kommentieren, was nach draußen gedrungen war. Kam es aus dem Aufsichtsrat oder dem Betriebsrat? Von den Mitarbeitern oder von Verdi? Howe sagt nur: „Die Leute zu disziplinieren ist Sache der Führungsgremien.“ Der Konzernbetriebsrat Wolfgang Pokriefke sagt: „Kapital und Arbeit bilden eine Schicksalsgemeinschaft. Wir müssen so kommunizieren, dass auch die Anteilseigner ihren Vorteil haben.“

Fakt ist: Der Tanker Karstadt-Quelle war sehr undicht. Das hat ihn weiter leckgeschlagen. Was tun, damit nicht alles gleich nach draußen schwappt? Schotten dicht wäre eine Möglichkeit. Keiner sagt etwas zu niemandem. Aber: Irgendwann dürfte der Druck die Schotten aus den Verankerungen reißen.

Maulkörbe verteilen wäre eine zweite Variante. Aber wer legt sich die schon an?

Um Geheimnisverrat zu verhindern, sollten Entscheider zuerst die Angst vor dem Geheimnisverrat ablegen, rät Kommunikationsberater Hans-Peter Meister vom IFOK. „Die Gefahr wird meist überschätzt. Und das ist Ausdruck einer Misstrauenskultur.“ Die Sache ist eigentlich simpel. Wer immer wieder merkt, dass man ihm nichts sagt, aus Angst, er würde seinen Mund nicht halten, der spürt auch keine Verpflichtung zum Stillschweigen, wenn er mal etwas erfährt. Man traut ihm keine Verantwortung zu, also handelt er unverantwortlich.

„Mitarbeiter behalten Geheimnisse für sich, wenn sie sich mit dem Unternehmen identifizieren“, sagt Joachim Betz vom Führungskräfteverband ULA. Identifikation aber gelte in vielen Führungsetagen kaum etwas. „Loyalität wird nicht honoriert“, sagt Betz, „die sind alle auf dem anglo-amerikanischen Trip. Wenn etwa ein Mitarbeiter schon viele Jahre im Betrieb ist, gilt er bei den Chefs nicht als loyal, sondern als träge. Warum sollte so jemand ein Geheimnis bewahren?“

Misstrauen als Kultur – das lässt sich nicht ablegen wie ein alter Mantel. „Die lügen doch nur“ versus „Die quatschen doch alles gleich weiter“ – tief stecken die Erfahrungen mangelnden Vertrauens in jedem Mitarbeiter, jedem Vorstand, jedem mittleren Manager. Eine Vertrauenskultur zu schaffen dauert. Wer erst im Krisenfall damit anfängt, kommt zu spät. Denn worauf soll sich das plötzlich eingeforderte Vertrauen gründen?

Schlau ist, wer wie Nokia an dem Problem arbeitet, bevor die Firma in eine Notlage gerät. Weniger Vorschriften, Konferenztermine und starre Regeln senken die Misstrauenskosten bereits in der Gegenwart. „Es gibt ein Zuhause in der Firma, und es gibt ein Draußen“, sagt Birgit Opladen, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei Nokia in Deutschland. „Das sollte jeder Mitarbeiter spüren.“ Bei Nokia arbeiten weltweit 55 393 Menschen aus unterschiedlichen Ländern und kulturellen Hintergründen, in Deutschland sind es 3500 Mitarbeiter an drei Standorten. „Das sind viele kleine Nokias im großen Nokia“, sagt Opladen. „Allein mit einer konzernweiten Mitarbeiterzeitung oder einer Rund-Mail kommen Sie da nicht weit.“

Nokia versucht, nicht durch noch stärkeren Einsatz von Technik und noch feinere Kommunikationsinstrumente das Problem der Komplexität zu lösen, sondern setzt auf das persönliche Gespräch. Als sich der Konzern vor knapp zwei Jahren neu aufstellte, mit einem einheitlichen Vertrieb und neuen Unternehmensbereichen wie Mobilfunknetzen oder Multimedia, „da mussten wir erklären, warum wir das machen“, sagt Birgit Opladen. „Wenn sich die Mitarbeiter schlecht fühlen, prägt das auch das Bild nach außen.“

In der Produktion wurde angefangen – und von vornherein auf das Intranet verzichtet. „Die Leute dort sprechen eine ganz andere Sprache“, so Opladen. Nämlich eine ganz direkte. Jeder Bereichsleiter mit Personalverantwortung musste sich deshalb vor seine Leute stellen und sagen, was Sache ist. Er musste zuhören. Er musste die Quartalszahlen so erklären, dass sie jeder verstand. Und weil er die Zahlen zum Teil selbst nicht begriffen hatte, wurde er zuvor geschult, ohne ihm seine Unkenntnis zum Vorwurf zu machen. Und weil das alles so gut klappte, mussten danach auch Forschung und Vertrieb ran.

Seitdem hat Kommunikationspolitik bei Nokia nur ein Ziel: das direkte Gespräch zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem, quer durch die Hierarchie, die möglichst flach gehalten wird. Angst vorm Chef wird bekämpft, indem das Entscheidungssystem immer die Zustimmung mehrerer Verantwortlicher verlangt. „Die Chefs müssen immer noch einen anderen Chef fragen“, sagt Birgit Opladen. Einsamen Helden, die Kritik oder Vorschläge abblocken, will Nokia das Leben möglichst schwer machen. 

Das fordert: Mitarbeiter, die sich trauen müssen, ihre Meinung zu sagen und sich nicht hinter vermeintlich ignoranten Chefs verstecken können. Und Vorgesetzte, die sich nicht mehr hinter ihrem Schweigen verstecken können, sondern ausdrücklich auch private Sorgen ihrer Untergebenen anhören oder mal fragen sollen, warum einer spätabends noch immer nicht nach Hause will.

Der größte Feind der guten internen Kommunikation ist: die Angst der Manager. „Ängste konzentrieren sich nach oben“, weiß IFOK-Chef Hans-Peter Meister. „Führungskräfte haben Angst, vor ihren Mitarbeitern zu versagen, sie haben Angst, gemessen zu werden an dem, was sie von sich geben.“ Die Folgen sind bekannt: unproduktive Kuschelei, Arroganz, Schweigen oder eine betont draufgängerische Art, die jeden Zwischenton abwürgt und Unverständnis hinterlässt. Bloß nicht persönlich werden!

Und nun? „Wer führt, muss wissen, was ihm ganz persönlich wichtig ist“, so Meister, „sonst kann er nicht kommunizieren.“ Das aber führt einen Manager weit fort von den Zahlen hin zu sich selbst – mitten hinein in ein meist unbekanntes Land. Meister: „Ohne Selbstreflexion geht’s nicht.“ Nur, in welchem Unternehmen ist dafür Zeit? Wo wird das anerkannt als Führungskompetenz? „Von Menschenführung habe ich an der Universität nichts gelernt“, gesteht ULA-Chef Joachim Betz.
  

Es gibt keinen Königsweg der Kommunikation. Entscheidend ist, das Thema ernst zu nehmen

Nokia versucht auf zwei Wegen, seine Entscheidungsträger zum Reden zu bringen – nicht nur zwischen Oben und Unten, sondern auch auf der gleichen Ebene über Abteilungen und Orte hinweg, um „Silodenken“ zu verhindern. Zum einen macht der Konzern seine Leute zum Teil eines offenen Netzes. Reden lernt man am besten durch Reden. Das Unternehmen hat konzernweit offene Chatrooms eröffnet, eine Art globalen Flurfunk.

Dass dort jeder seine Meinung äußern dürfe, gebiete schon der Respekt, sagt Unternehmenskommunikatorin Opladen. „Wir können zwar steuern, aber den Gegenwind müssen wir aushalten.“ Selbstverständlich ist ein Instrument wie ein offener Chatroom ein prima Mittel, um unbemerkt Stimmungen zu beobachten. Und wenn jedes Würstchen in der Firma auch mal platzen darf, entweicht unkompliziert Dampf aus dem Kessel. Aber auch hier gilt: Blieben Reaktionen der Chefs auf die Anliegen der Mitarbeiter aus, wäre schnell Tschüss im Chat. Nokia reguliert durch den geförderten Flurfunk seine interne Kommunikation. „Wenn etwas nicht klappt, macht das schnell die Runde“, sagt Birgit Opladen.

Zum anderen wird die Belegschaft zum Gradmesser des Kommunikationserfolgs. Jedes Jahr befragt Nokia sämtliche Mitarbeiter anonym nach ihrer Zufriedenheit im Unternehmen, nach der Qualität der internen Kommunikation, nach Stärken und Schwächen des jeweiligen Vorgesetzten. Die Ergebnisse lassen sich bis auf Zehner-Gruppen herunterbrechen. „Jeder Vorgesetzte bekommt sein eigenes Chart“, sagt Birgit Opladen. Ganz offensichtlich folgen auch Konsequenzen – eine Rücklaufquote von 87 Prozent bei der Jahresumfrage zeigt, dass die Mitarbeiter dieses Kommunikationsinstrument ernst nehmen.

Der Konzern hat früh erkannt, wie wichtig eine gute interne Kommunikation für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens ist. Nokia bleibt allerdings auch nichts anderes übrig – das innovationsstarke Technikgeschäft braucht gute Leute. Und im Kampf um die Köpfe ist der Kommunikationsstil eine entscheidende Größe, drückt sich in ihm doch die Wertschätzung des Arbeitgebers für seinen Angestellten aus. Gute Leute sind rar, und sie lassen sich nicht schlecht behandeln.

Das werden in Zukunft immer mehr bislang attraktive Großunternehmen zu spüren bekommen. Der Mangel an engagierten Mitarbeitern und Fachkräften ist angesichts der demografischen Entwicklung nur noch eine Frage der Zeit. Dann wird es darum gehen, wertvolle Mitarbeiter an die Firma zu binden. Eine Sache, die schon heute vor allem für Kleinbetriebe und Mittelständler wichtig ist. „Kleine Firmen können ihre Leute nicht mal fix auswechseln“, sagt IFOK-Chef Hans-Peter Meister, „deshalb sind sie besonders an langfristigem Vertrauen interessiert.“

Was aber geschieht, wenn ein kleines Unternehmen groß wird? Kann es seine Vertrauensstellung halten angesichts eines immer unübersichtlicher werdenden Firmenapparats?

Klar ist: Es gibt keinen Königsweg. Jedes Unternehmen muss selbst erkennen, welcher Kommunikationsstil zu ihm passt. Eine Firma kann nach landläufigen Kommunikationstheorien alles falsch machen und trotzdem völlig richtig liegen. Wie Höft & Wessel in Hannover (siehe auch brand eins 07/2003). Die Firma fing 1978 als Tüftler-Truppe in einer Wohngemeinschaft an. Heute hat der Entwickler von Ticket-Automaten und mobilen Datenerfassungsgeräten 525 Mitarbeiter. „Dass man sich gegenseitig blind vertraut“, sagt der Vertriebsvorstand Peter Claussen, „das funktioniert vielleicht bis zu 40 Mitarbeitern. Dann ist Schluss.“

Höft & Wessel macht in Sachen interne Kommunikation an sich alles falsch, denn eigentlich wird gar nichts gemacht. Eine Mitarbeiterzeitung oder einen Newsletter gibt es nicht, im Intranet stehen lediglich praktische Dinge des Alltags. Alle Vierteljahre treffen sich die Belegschaft und die einzelnen Geschäftsbereiche, um dem Laden eine grobe Richtung zu geben. Das war es dann. Trotzdem herrscht in der Firma ein gutes Klima – die Fluktuationsquote liegt bei nur 1,5 Prozent.

Wie kommt’s?

Höft & Wessel kann sich ihr administratives Nichtstun leisten, weil die Mitarbeiter keine ausgefeilten Kommunikationsstrukturen brauchen – ein großer Apparat wäre dort ein großer Fehler. Stattdessen gilt: ein Mann – ein Wort. Die nunmehr erwachsene Firma vertraut wie in den Anfangstagen auf das Selbstbewusstsein ihrer Mitarbeiter und praktiziert, was gemeinhin als verpönt gilt: „Bei uns ist Information schon immer eine Holschuld“, sagt Claussen. „Wer bei uns etwas wissen will, muss fragen.“

Die Stärke der Firma ist nicht die Organisation von Kommunikation, sondern das stete Aushalten direkter Ansprache mit all den ungefilterten Konflikten, die unvorhersehbar auf den Gefragten einstürzen. Wie damals in der Wohngemeinschaft.

Peter Claussen ist seit zehn Jahren im Unternehmen, und einige Probleme sind es noch länger. Noch immer bedauern Mitarbeiter der ersten Stunde, dass sie jetzt nicht mehr alles wissen, sondern nur das, was ihre Abteilung angeht. Manche empfinden das als Degradierung. „An diesem Problem kann man sich die Zähne ausbeißen“, stöhnt Claussen, „aber es kann nun mal nicht jeder in der entstehenden Hierarchie aufsteigen.“ Es ist dieser Prozess der Professionalisierung, der immer wieder erklärt werden muss.

Im Prinzip ist die Sache ganz einfach. Wenn die Leute fragen. Und Antworten bekommen

Mit dem Wachstum der Firma haben die Mitarbeiter auch Unangenehmes lernen müssen. Etwa, dass es irgendwann nicht mehr ohne Zwang geht. Claussen erinnert sich noch gut an den Streit mit einem Entwickler, der partout kein Blockschaltbild seines Netzteils anfertigen wollte. Früher hätte man das irgendwie geregelt, jetzt flogen Sätze wie: „Du wirst das jetzt zum Verrecken noch mal tun!“ und „Du kannst mich mal!“ Peter Claussen schmust nicht um das Problem herum: „Jetzt schlägt der Ober den Unter, wenn es sein muss. Management by consensus – damit ist es irgendwann vorbei.“

Ein solche Reifeprüfung kann Organisationen überfordern. Bei Höft & Wessel ist das nicht passiert, weil die Firma beweglich geblieben ist. Ab Mitte der neunziger Jahre wuchs das Unternehmen rasant, ein Großauftrag jagte den nächsten. Mit der Vielzahl der Projekte änderte sich die Arbeit: Jeder tüftelte an seinem kleinen Detail herum. „Die Leute fühlten sich wie am Fließband“, erinnert sich Peter Claussen. „Kaum jemand hat sich noch mit seiner Arbeit identifiziert. Die Kommunikation war tot.“

Höft & Wessel machte den entscheidenden Schritt: Die Chefs redeten nicht nur über die Probleme – sie veränderten auch die Arbeitsbedingungen und führten feste Projektgruppen ein. Nun flossen die Informationen, die Leute sprachen wieder miteinander. „Lediglich über die Arbeit zu reden hätte gar nichts gebracht“, ist Peter Claussen überzeugt.

Noch heute richtet sich die Firma danach. Das Prinzip Höft & Wessel funktioniert nur mit aktiven Kommunikatoren auf Seiten des Managements und der Belegschaft. „Unsere Leute sind angesehen und kriegen vernünftige Antworten“, sagt Peter Claussen. „So banal ist das wohl.“

Aber das ist bekannt: Das Einfachste ist oft am schwersten zu erreichen. --

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