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brand eins, Juni 2007                                                                                                       zurück zur Übersicht

Abzocke leicht gemacht

Wollen Sie als Anwalt mit wenig Arbeit viel Geld verdienen?
Ist Ihnen Ihr Ruf egal?
Dann versuchen Sie’s mit Abmahnungen im Internet.

Wie dreist ein Mensch sein kann, erfuhr Bastian Schneider im Oktober 2006. Er betreibt einen Webshop, verkauft Computerbedarf und bietet Webhosting an, also Platz auf seinem Server für Homepages von Kunden. Eines Tages bekam Schneider Post von einem Anwalt: eine Abmahnung. Der Vorwurf: Er habe neben seine Preise nicht ausdrücklich geschrieben, dass die Mehrwertsteuer enthalten sei. Das verstoße gegen die Preisangabenverordnung und verzerre den Wettbewerb. Er solle dies künftig unterlassen. Der Anwalt setzte den Streitwert auf 50 000 Euro fest und legte eine Rechnung über 1300 Euro bei.

Formal war das korrekt. Weil Schneider Endpreise angab, hätte er "inkl. Mw St." hinzufügen müssen. Schneider ist 20 Jahre alt, Abiturient. Seinen Shop betreibt er nebenbei. "Ich habe vielleicht 100 Kunden und einen Jahresgewinn von 500 Euro", sagt er. "Solch ein Streitwert ist total überzogen." Er suchte sich eine Anwältin, die dem Kollegen ein Fax schickte und von ihm den Nachweis forderte, dass der Abmahner wirklich ein Wettbewerber sei. Schneider hörte nie wieder etwas von der Gegenseite. Ihm blieben eigene Anwaltskosten in Höhe von 650 Euro.

Da hatte es mal wieder einer versucht. Einer, den Rudolf Koch "Abzocker" nennen würde. Einer jener Anwälte, die Abmahnungen als Massengeschäft betreiben. Koch beobachtet sie mit seinem Verein "Abmahnwelle". Beliebt sind Formfehler wie der fehlende Mehrwertsteuerhinweis, der abgekürzte Vorname im Impressum, die Abkürzung "WNFl." statt "WFl.-/NFl." für "Wohn-und Nutzfläche". Abgezockt würden kleine Webshops wie Weltfirmen, sagt Koch. "Das ist, als wenn einer mit dem Schrotgewehr in einen Vogelschwarm schießt." Viele kleine Vögel werden abgeschossen, weil sie sich nicht zu wehren wissen.

So wird ein im Grunde sinnvolles Rechtsinstrument pervertiert. Eine Abmahnung ist die Aufforderung, eine Rechtsverletzung zu unterlassen, etwa im Wettbewerbs-, Marken- oder Urheberrecht. Verbunden wird sie mit der Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, die erst dann greift, wenn der Abgemahnte den gleichen Fehler ein zweites Mal macht. Abmahnungen sollen Gerichtsverfahren verhindern - zum Vorteil beider Seiten. Abmahnen dürfen direkte Mitbewerber oder Anwälte in deren Auftrag, Rechteinhaber, Verbraucherschutzorganisationen, Industrie- und Handelskammern sowie Interessenvertretungen einer Branche, sofern sie eine relevante Anzahl Mitglieder haben.

Das Instrument funktionierte, solange Abmahnungen Arbeit machten. Streit um Lappalien war früher mühsam: Wer seine Konkurrenten wegen eines fehlenden Vornamens im Impressum drankriegen wollte, musste selbst losziehen und an den Ladentüren die Inhaberkennzeichnung prüfen. Heute reichen ein paar Klicks im Netz, um solche Regelverstöße zu finden. Dann muss man nur noch eine vorgefertigte Abmahnung aus Textbausteinen zusammensetzen und abschicken. Fertig.

Das Internet ist einer der großen Treiber für das Abmahn-Unwesen, denn dort ist jeder jedem formal ein Konkurrent und damit abmahnfähig. Auch ist die Zahl möglicher Rechtsverstöße immens, weil sich viele im Netz tummeln, die keine Ahnung von rechtlichen Vorschriften haben. "Heute sind 90 Prozent aller Abmahnungen internetbasiert", sagt Koch. Knapp 90 Prozent aller Abmahnungen würden von echten oder vermeintlichen Mitbewerbern ausgesprochen - beziehungsweise von Anwälten, die sich auf deren Vollmacht berufen. "Wie viele es sind, das weiß exakt nur der liebe Gott." Koch rechnet mit bis zu 50 000 Abmahnungen in Deutschland pro Jahr. Eine Umfrage der Zertifizierungsagentur Trusted Shops unter 2200 Internetshops ermittelte jüngst unter allen Rückmeldungen einen Durchschnittswert von 2,1 Abmahnungen pro Shop.

"Die meisten Abmahnungen sind formaljuristisch korrekt, aber viele abgemahnte Rechtsverstöße tun niemandem weh", sagt Ulrich Hafenbradl von Trusted Shops. "Seinen Shop wasserdicht zu halten ist unmöglich. Ständig gibt es neue Gesetze oder Änderungen im Detail. Da kommt man kaum hinterher. Und wer es zuerst weiß, googelt los und mahnt ab."

Beispiele gefällig? Der Mehrwertsteuerhinweis neben dem Preis war bis zum 31. Dezember 2002 verboten, ist seit dem 1. Januar 2003 aber Pflicht. Zum Januar 2007 änderte sich das "Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister" (EHUG). Seither gelten die Pflichtangaben für Geschäftsbriefe auch für E-Mails. Das kam so überraschend, dass selbst die Rundbriefe der Kammern verspätet verschickt wurden. Pech für den, der schon eine Abmahnung auf dem Tisch hatte.

Mitunter können sich Web-Händler nicht einmal auf die gesetzlichen Vorgaben verlassen. So wurden Ebay-Händler und Shop-Betreiber reihenweise abgemahnt, weil sie das vom Bundesjustizministerium abgesegnete Muster einer Widerrufsbelehrung verwendeten. Hauptstreitpunkt war der Fristbeginn. Manche Gerichte erklärten die Widerrufsbelehrung für wettbewerbswidrig - die Abgemahnten mussten zahlen, obwohl sie sich an die Vorgaben des Bürgerlichen Gesetzbuches gehalten hatten. Für das Bundesjustizministerium ist das kein Grund zum Eingreifen. "Das Problem sehen wir schon", sagt Sprecher Henning Plöger, "aber wir halten das Muster weiterhin für zutreffend und rechtskonform. Wir müssen sehen, wie die Gerichte letztinstanzlich entscheiden." Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs steht noch aus.

"Und bis dahin sind alle Onlineshops zum Abschuss freigegeben oder was?", fragt Ulrich Hafenbradl von Trusted Shops. Er hat die kritisierte Muster-Passage gegoogelt und 1,5 Millionen entsprechende Seiten gefunden. Da wäre also noch viel zu holen. Jede Änderung der Formvorschriften löst neue Abmahnwellen aus. Es ist leicht und lohnt sich. So schwer es der Gesetzgeber den Händlern macht, sich rechtskonform zu verhalten, so leicht macht er es Abmahnern, daraus Kapital zu schlagen.

Die Unsitte beruht auf der Überlegung, dass viele Opfer sich nicht wehren

Dreh- und Angelpunkt ist der Streitwert. Auf ihm basieren die Gebühren, die ein Anwalt für eine Abmahnung berechnet. Es gibt keine Vorgaben. In einer vorgerichtlichen Auseinandersetzung wie der Abmahnung legt der Abmahner selbst den Streitwert fest. Je höher der liegt, desto höher auch die Gebühren - kein Wunder, dass sich Abmahner gern nach oben verschätzen. Bei kleineren Zwistigkeiten hat sich ein Streitwert von 50 000 Euro als Erfolg versprechend etabliert. Er bringt Gebühren von etwa 1300 Euro, was viele Abgemahnte noch gerade so bezahlen, ohne die Sache vor Gericht klären zu lassen. Sie scheuen die Kosten, und in der Tat ist ihr Risiko groß, gerade bei Verstößen im Internet. Dort gilt das Prinzip des "fliegenden Gerichtsstands": Der Abmahner kann jedes zuständige Gericht in Deutschland anrufen. Findige Anwälte kennen die Gerichte, die tendenziell abmahnerfreundlich entscheiden. Da kann jede Bagatelle teuer werden. Denn bis darüber höchstrichterlich entschieden ist, kann jeder Richter selbst entscheiden, was er unter einer Bagatelle versteht.

Das Geschäft sei so leicht und so lukrativ, dass Anwälte von sich aus Verstöße recherchierten und sich erst dann Wettbewerber suchten, für die sie anschließend Abmahnungen verschickten, sagt Hans-Reinhart Grünbaum, Referent Recht und Steuern bei der IHK Frankfurt am Main. "Dann fängt das Massengeschäft an. Bei angenommenen Streitwerten von jeweils 10 000 Euro und entsprechenden Anwaltsgebühren von 700 Euro ist das ein gutes Geschäft." Bei vielen Fällen habe er ein "dumpfes Gefühl". "Da nehmen sich Streitende gegenseitig kaum Kunden weg, und trotzdem wird abgemahnt." Warum aber lassen sich Unternehmen vor den Karren eines Anwalts spannen? "Vermutlich fließt da Geld zurück", vermutet Grünbaum. "Und es funktioniert wie eine selbstdrehende Schraube. Wer einmal abgemahnt wurde, mahnt selber ab, auch wenn ihm der Wettbewerber nicht wehtut."

So gebiert jede Abmahnung eine neue. Die Opfer sind häufig kleine Gewerbetreibende, die sich schnell von einem Anwaltsbrief einschüchtern lassen. Zwar ist nicht gesagt, dass jeder Abgemahnte auch zahlt. Ein gutes Geschäft bleibt es trotzdem. Der Aufwand für den Anwalt ist so gering, da kann er sich einigen Ausfall leisten. Viele Abmahnungen funktionieren nach dem Prinzip: Probieren wir's aus.

"Abmahnungen sind oft ein Taschendiebgeschäft", sagt Tobias Strömer. "Hunderte Anwälte machen sich jeden Tag strafbar. Das ist ein Skandal." Der Rechtsanwalt aus Düsseldorf ist Spezialist für Wettbewerbs- und Urheberrecht - und selbst Abmahner. "Auch ich mahne fehlende Angaben im Impressum ab", sagt er, "aber ich mache das korrekt. Bei mir bekommt jeder Mandant eine Rechnung." Die muss er auch dann bezahlen, wenn die Abmahnung nicht erfolgreich ist. "Es kommt schließlich darauf an, wer die Musik bestellt. Ein Anwalt erhält in der Regel nur Geld von seinem Mandanten. Das entspricht den guten Sitten."

Nicht aber der Realität. Strömer verweist auf eine Praxis, die seiner Meinung nach die Abmahnwellen erst ermöglicht: Da koalieren Advokat und Mandant, um den Abgemahnten abzumeiern. Eigentlich muss jeder, der einen Anwalt mit einer Abmahnung beauftragt, auch dessen Honorar zahlen. Er ist der Mandant und kann nur die tatsächlichen Aufwendungen anschließend bei dem Abgemahnten geltend machen. Was nicht heißt, dass er seine Aufwendungen in jedem Fall zurückbekommt. Es bleibt für ihn das Risiko, dass die Abmahnung erfolglos ist und er auf seinen Anwaltskosten sitzen bleibt.

Strömer bezweifelt jedoch, dass sich Mandanten wirklich immer verbindliche Rechnungen ausstellen lassen über Zehntausende Euro, nur damit ihr Anwalt andere Leute massenhaft wegen Lappalien abmahnt. Also gibt es in diesen Fällen auch keine "tatsächlichen Aufwendungen" in entsprechender Höhe, die einem Abgemahnten in Rechnung gestellt werden dürften. Was jedoch trotzdem geschehe, mit Berufung auf die Gebührentabelle. "Das ist Betrug gegenüber dem Abgemahnten", sagt Strömer. "Man müsste einem Anwalt nur ein Mal beweisen, dass er mit seinem Mandanten eine Absprache getroffen hat: Du musst nichts zahlen, wenn der Abgemahnte nicht zahlt. Wer das macht, verliert sofort seine Zulassung." Vorgekommen ist so etwas bislang nicht. Der Grund: Die Beweislast liegt beim Abgemahnten. "Der aber war beim Gespräch zwischen Anwalt und Mandant nicht dabei und kann die Vergütungsvereinbarung nicht kennen. Eine Beweislastumkehr wäre deshalb nicht schlecht."

Das Abmahn-Unwesen schadet dem Ruf der Anwaltschaft. Leider ist den Übeltätern nur schwer beizukommen

"Missbrauch liegt vor, wenn eine Abmahnung ihren eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllt, sondern ausschließlich dem Gebühreneinzug dient oder die Gebühren überhöht sind", sagt auch Jan Kaestner, Mitglied der Geschäftsführung der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. "Und diese Tendenz ist nicht von der Hand zu weisen." Das Problem: Es gibt keine verbindlichen Maßstäbe. Im Zweifelsfall muss ein Gericht darüber entscheiden, einen Prozess meiden jedoch viele Abgemahnte.

Die Wettbewerbszentrale selbst spricht pro Jahr rund 10 000 Abmahnungen aus für eine feste Gebühr von jeweils 189 Euro, im Gegensatz zu privaten Anwälten jedoch nicht bei Lappalien. "Und wir mahnen auch Abmahner ab", sagt Kaestner. "Wir werden stutzig, wenn etwa ein einzelnes Unternehmen 100 Abmahnungen auf einmal aussprechen lässt. Wenn kleine Verstöße gegen Formvorschriften einen Streitwert von 25 000 Euro haben sollen. Wenn in den Schreiben nur Textbausteine verwendet werden." Für Kaestner geht es um juristische Hygiene: "Bei Abmahnungen im Internet frisst das Recht sich selbst, nämlich dort, wo Formalia abgemahnt werden ohne Sinn und Verstand. So sinkt die Akzeptanz der Gesetze. Die Leute scheren sich irgendwann nicht mehr drum, weil sie sich sowieso nie sicher fühlen."

Der Gesetzgeber selbst reagiert zurückhaltend auf das Abmahn-Unwesen. Forderungen nach einer Deckelung der Gebühren weist er zurück - mit einer Ausnahme, und die betrifft allein das Urheberrecht. Das Bundesjustizministerium arbeitet zurzeit an einem Entwurf, nach dem bei "einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs" Anwaltsgebühren bei einer Erstabmahnung für den Abgemahnten nicht höher sein dürfen als 50 Euro. Vorausgegangen war "eine signifikante Anzahl an Beschwerden beim Bundesjustizministerium", so dessen Sprecher Henning Plöger. Wird dieses Gesetz beschlossen, muss zumindest der keine Angst mehr haben, der etwa einen Stadtplan-Ausschnitt aus dem Internet auf seine private Homepage stellt, damit seine Freunde den Weg zur privaten Party finden. Bislang kann ihn das fix einige hundert Euro allein an Abmahngebühren kosten.

Bleibt die Frage, was "einfach gelagert" und "unerheblich" ist. Genau darauf aber kommt es bei Urheberrechtskonflikten an. Selbst die Abgemahnten bestreiten den Tatbestand der Urheberrechtsverletzung kaum. "Das Problem aber ist die Verhältnismäßigkeit", sagt Peter Kerl von der Initiative "Rettet das Internet". Kerl sorgt sich um die privaten Surfer, die Musiktitel, Karikaturen oder Texte aus dem Netz herunterladen und auf ihren privaten Seiten nutzen. Wie bei Wettbewerbsverstößen legt auch beim Urheberrecht der Abmahner den Streitwert zunächst selbst fest und berechnet seine Gebühren entsprechend. Streitwerte von 30 000 Euro etwa für die Nutzung einiger Karikaturen auf der Seite eines Karnevalsvereins sind realistisch. Hinzu kommen nachträgliche Lizenzgebühren, veranschlagt nach der "Lizenzanalogie". Grundsatz: Was hätte der Nutzer üblicherweise für eine Lizenz zahlen müssen? Aber was gilt: Die Preisliste des Urhebers? Der marktübliche Preis?

Weiterer Haken: Eigentlich kommt es auf die Zahl der Klicks pro Monat an, die eine Website auf sich vereint. "In der Praxis ist es aber egal, ob eine Seite 10 oder 5000 Aufrufe pro Monat hat", sagt Peter Kerl. "Dabei müsste doch zunächst geklärt werden, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist. Es gibt Seiten, da geht kaum jemand drauf. Wenn ich mir zu Hause eine Karikatur in den Flur hänge, sehen das wahrscheinlich mehr Leute. Und daran stört sich auch niemand." Für Henning Plöger vom Bundesjustizministerium zieht das Argument nicht. "Entscheidend ist, dass auch ein solches Angebot eine urheberrechtlich relevante Nutzung ist."

Wohlgemerkt: Es geht nicht um semiprofessionelle Musiksauger und Filmdiebe. "Wenn Lappalien bei ahnungslosen Jugendlichen mit hohen Gebühren abgemahnt werden, verstößt das gegen die guten Sitten", sagt auch Ulrich Scharf, Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer. "Es gibt Missbrauch, und der schadet der ganzen Anwaltschaft. Es werden Rechnungen bezahlt, die eindeutig zu hoch sind. Die Leute scheuen sich, vor Gericht zu gehen. Das ist ein Problem, und das muss ich als Anwalt deutlich sehen."

Was tun? Nicht klein beigeben.
Und die Abmahner an den Pranger stellen

Kann man etwas tun gegen das Abmahn-Unwesen? Ulrich Scharf tut sich mit der Antwort schwer. "Offensichtliche Fälle müssen geregelt werden, auch wenn das bisherige System einen Knacks kriegt. Wenn einer systematisch mit überhöhten Gebühren abzockt, muss er ein Bußgeld bekommen, das wehtut. Abmahnanwälte sind schließlich diejenigen, die wissen, wie man Geld macht." Bislang dürfen die regionalen Rechtsanwaltskammern aber nur Rügen aussprechen. "Darüber lachen manche Anwälte und pinnen sich das Ding an die Wand", räumt Scharf ein.

Vom Gesetzgeber haben Abmahnopfer wenig zu erwarten, und das System der Anwaltsvergütung wird sich kaum ändern. Was bleibt? Die Abmahner mit ihren eigenen Waffen schlagen. Wenn Abmahner das Internet nutzen, um massenhaft zu kassieren, können Abgemahnte das Internet nutzen, um sich zu wehren. Wie im Fall Digital World Net. Bei der Firma handelte es sich laut eigenen Angaben um einen Berliner Onlineshop-Betreiber, der seine Kunden mit Geräten zum Drucken, Kopieren, Faxen, Scannen und Archivieren ausstattete. Zum Leistungsspektrum gehörte auch PC- und IT-Technik. Im März 2006 ging Digital World Net über das Berliner Anwaltsbüro Rubinstein & Jaeger in die Offensive. "Es waren 650 Abmahnungen in vier Tagen, mit Anwaltsgebühren von jeweils 650 bis 1000 Euro", hat Walter Felling gezählt, Rechtsanwalt in Soest, der 25 von Digital World Net abgemahnte Online-Händler vertritt. Die Abmahnanwälte machten einen Verstoß gegen die Preisangabenverordnung geltend. Die Abgemahnten hätten in ihren Shops die Umsatzsteuer und die Versandkosten unzureichend angegeben.

Doch der Schuss ging nach hinten los. Denn offensichtlich hatte der Abmahnungsversender vergessen, das Zählwerk seines Faxgeräts auszuschalten - was auf einen rechtsmissbräuchlichen Massenversand hindeutete. Außerdem ging die Post auch an Händler, die nur an Gewerbetreibende und Selbstständige verkaufen, also keine Umsatzsteuer angeben müssen. Ein weiterer Fauxpas: Auf der Homepage von Digital World Net gab es ein Forum, das die Abgemahnten enterten, um sich miteinander auszutauschen. Als die Firma das Forum nach einer Woche schloss, waren die Kontakte längst geknüpft.

Für Digital World Net wurde es ungemütlich, man ging auf Tauchstation. "Drei Tage nach der ersten Abmahnung habe ich zum Test 500 Blatt Papier bestellt", sagt Walter Felling, "es kam keine Antwort. Nach 14 Tagen war ich selbst in Berlin. Da waren die Geschäftsräume schon verwaist. Ich hatte gleich Zweifel, ob es da überhaupt noch eine echte Geschäftstätigkeit gibt."

Im Internet hielten die Abgemahnten einander auf dem Laufenden, so konnten alle ihre Anwälte füttern. Wieder und wieder mussten die Abmahner einen Rückzieher machen. Inzwischen habe Rubinstein & Jaeger das Mandat von Digital World Net niedergelegt, sagt Anwalt Felling. Dafür schießen die Abgemahnten jetzt zurück. Viele haben Schadenersatzklagen erhoben gegen Rubinstein & Jaeger sowie Digital World Net. Dass die Abmahnungen rechtsmissbräuchlich waren, hat Walter Felling mittlerweile gerichtlich bestätigt bekommen. Er hat zudem Zweifel am korrekten Verhältnis zwischen Abmahnanwalt und Mandant. "Die gesamten Anwaltsgebühren sind doppelt so hoch wie der Umsatz, den die Zweipersonenfirma Digital World Net zuvor in zwei Jahren gemacht hat. Wenn die Anwälte entsprechende Rechnungen an ihren Mandanten geschickt hätten - wie soll das gehen?"

Auf diese Frage hätte man gern von den Abmahnern eine Antwort. Auch um zu erfahren, warum auf der Digital-World Net-Homepage ein Unterstützer-Link gesetzt war zu "Nothilfe für Menschen e. V.", einem Verein, bei dem man via 0900-Nummer pro Anruf drei Euro spenden kann und zu dessen Gründungsmitgliedern Abmahnanwalt Mark Rubinstein gehört. Aber das ist nicht möglich. Die Anwälte schweigen. Digital World Net wurde wegen fehlender Geschäftstätigkeit aus dem Gewerberegister gestrichen. Auf der Homepage steht: "Zugriff nicht erlaubt." -

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