Wirtschaftsplattform Irak, August 2009 zurück zur Übersicht
Von der Kunst, Nebel zu schneiden
Der Irak gilt als eines der korruptesten Länder der Erde. Sauber zu bleiben ist für Unternehmer ein schwieriges Unterfangen. Dennoch: Es gibt Wege, die Erfolg versprechen.
Er hat alles versucht, doch nun ist Schluss. Stahl wollte er liefern, für eine staatliche Fabrik im Irak, die Transformatoren herstellt. „Strom“, sagt Ahmed A., „ist doch eine Katastrophe dort.“ Auf eine Ausschreibung des Ministeriums hat er reagiert. Er hat Zertifikate geschickt und Laborergebnisse. Er hat eine Bankgarantie und immer wieder neue Papiere eingereicht. Monatelang ging es hin und her zwischen dem Irak und seiner Firma in Deutschland. „Und nun liegen meine Unterlagen bei einem Mitarbeiter des Ministers“, sagt der Deutsch-Iraker. „Der müsste sie eigentlich weiterreichen. Dafür will er aber zehn Prozent der Auftragssumme als Schmiergeld. Das ist einfach unverschämt. Das kann ich nicht machen." Mehrere Briefe hat Ahmed A. deswegen an den Minister schreiben lassen, ohne Reaktion. Jetzt schmeißt er hin. „Es ist schlimm“, kommentiert der Geschäftsmann seine Lage, „ich bin völlig hilflos.“ Ahmed A. heißt in Wirklichkeit anders, doch seine Probleme sind real.
Auf dem Korruptionsindex von Transparency International steht der Irak an vorletzter Stelle von 183 Staaten. Als schlimmer gilt nur Somalia. Experten schätzen den jährlichen Verlust aufgrund von Korruption auf fünf bis sieben Milliarden US-Dollar. Laut einem Bericht der Iraq Study Group des United States Institute of Peace versickern bis zu zehn Prozent der irakischen Öleinnahmen in dunklen Kanälen. Nie sei die Korruption schlimmer gewesen als heute. Hinter den Zahlen verbergen sich existenzielle Fragen für jedes Unternehmen, das im Irak Geschäfte machen will. Wie weit muss man sich einlassen auf das korrupte Spiel? Wie viel „Beratungshonorar“ darf ein Lieferant einplanen, bevor er sich strafbar macht? Wo endet Dankbarkeit? Wo beginnt Schmieren?
In Deutschland ist Auslandsbestechung ein Straftatbestand. Ist es möglich, Geschäfte im Irak zu machen und sauber zu bleiben? Das ist nicht leicht zu beantworten. Kaum ein Unternehmen oder Verband spricht offen über diese Fragen. Und wer redet, möchte seinen Namen nicht veröffentlicht sehen. Sicher ist: Die Voraussetzungen für saubere Geschäfte sind denkbar schlecht.
Die irakische Wirtschaft ist weitgehend staatlich kontrolliert, die meisten großen Unternehmen sind in Staatsbesitz. Ausschreibungen, Aufträge und Genehmigungsverfahren laufen über Behörden und Ministerien; kaum ein Geschäft ist ohne deren Einwilligung möglich. Doch allein Ministerien sind verantwortlich für geschätzte 70 Prozent der Korruptionsfälle. Betroffen sind alle Ebenen, vom Minister bis zum Referenten.
In Behörden werden Budgets, selbst für Staudämme, Kraftwerksprojekte oder Sanierung ganzer Stadtteile, oft freihändig aufgestellt. Es gibt keine zentrale Kontrolle der Finanzströme. Die Bertelsmann-Stiftung spricht in ihrem Länderreport Irak von einem „institutionellen Vakuum“, in dem sich Korruption fast ungehindert ausbreiten könne. An dieser Situation können geschäftswillige Unternehmer wenig ändern. „Es gibt Hunderte Methoden, jemandem Sand ins Getriebe zu werfen“, sagt der deutsch-irakische Geschäftsmann Mohammad B. Auch er heißt nicht wirklich so. B. liefert seit Jahren Waren in den Irak. Chemikalien, Getränke, Zucker. „Nehmen Sie zum Beispiel die Ausschreibungen“, erklärt B., „die muss man vorher kennen und kaufen, damit man sie überhaupt lesen darf. Dann müssen Sie sich bei Ministerium und Handelskammer registrieren. Um ein Angebot vorzulegen, brauchen Sie eine Bankgarantie. Dann muss man natürlich den Zuschlag bekommen. Erhalten Sie den Zuschlag, müssen Sie die Bankgarantie erhöhen. Irgendwann erfolgt die Lieferung. Die Ware muss durch den Zoll und ins Land zum Abnehmer gelangen. Dann müssen Sie Ihr Geld bekommen. Und an jeder Stufe sitzt jemand und hält die Hand auf. Mit europäischen ISO-Normen kommen Sie da nicht weiter.“
Was also tun? Mohammad B. hat verschiedene Methoden, seine Hände relativ sauber zu halten. Zum einen reduziert er mögliche Angriffspunkte. Laboruntersuchungen für Chemikalien etwa lässt er ausschließlich in Deutschland machen. Zum anderen arbeitet er als Mittler zwischen deutschen und irakischen Firmen. Er kauft seine Waren bar bei deutschen Herstellern und gibt sie direkt an irakische Firmen weiter, die dann mit der Situation vor Ort umgehen. „Ich gebe zu, ich leite meine Probleme an meine Partner im Irak weiter“, sagt Mohammad B. Immerhin könne man so das Ausmaß der abfließenden Mittel drücken, weil die Partner vor Ort genau wüssten, wann eine Summe „zu hoch" sei.
Trotzdem: Auch Mohammad B. kommt nicht ohne direkte Kontakte zu irakischen Offiziellen aus. Er sagt, er lehne direkte Bestechungsversuche rundheraus ab. „Man muss Zähne zeigen, das hilft.“ Mohammad B. hat es noch leicht. Er ist im Handels- und nicht im Projektgeschäft. Seine Summen sind kleiner, er kann delegieren. Aber auch bei großen Infrastrukturprojekten können sich Unternehmen heraushalten aus den korrupten Strukturen. Wie die Dorsch-Gruppe aus Offenbach beweist. Dorsch ist mit 1.600 Mitarbeitern Deutschlands größter unabhängiger Anbieter für Ingenieurdienstleistungen und arbeitet weltweit. Zurzeit plant Dorsch im Irak 1.260 Kilometer Eisenbahnstrecke. „Korruptionsfrei zu arbeiten ist möglich“, sagt Geschäftsführer Olaf Hoffmann. „Man muss das offensiv angehen. Dann trennt sich bei den Auftraggebern die Spreu vom Weizen. Und das ist gut so."
Dorschs Weg ist gar nicht so kompliziert. Dorsch beschäftigt keine irakischen Vermittler, die mit Schwarzgeld Aufträge organisieren. Die Deutschen beziehen keine direkten Aufträge von irakischen Behörden, sondern nur von Bauunternehmen der Privatwirtschaft. Die Kontakte sind oft jahrzehntealt. Verträge schließt Dorsch nach deutschem Recht. Dorsch selbst hat aus Sicherheitsgründen keine Mitarbeiter im Irak. Das Unternehmen liefert ausschließlich Planungsleistungen, die vollständig in Deutschland erstellt werden. Kontaktmöglichkeiten mit irakischen Offiziellen sind nur beschränkt möglich. „Alle drei Monate sind wir für knapp zwei Tage dort“, sagt Olaf Hoffmann. „Wir bewegen uns immer in großen Gruppen, da kommt keine konspirative Stimmung auf. Im Irak wurden wir noch nicht mit Korruption konfrontiert. Aber wenn jemand Geld verlangt, würden wir auf die deutschen Gesetze verweisen. Man muss Korruption herunterholen von der persönlichen Ebene, dann gibt es wenig zu argumentieren. Aufträge haben wir deshalb noch keine verloren.“
Dorsch arbeitet zurzeit kaum direkt mit irakischen Offiziellen zusammen. Doch das soll sich bald ändern. Künftig will Dorsch direkt an Ausschreibungen teilnehmen, auch sollen die ersten regionalen Planer ihre Büros beziehen. Eine Nähe, der Dorsch mit klaren Regeln begegnen will. Null Toleranz ist das Ziel. „Man darf erst gar keine Phantasien entstehen lassen“, meint Olaf Hoffmann, „was allein zählen darf, ist Leistung.“ Gute Worte sind das eine. Dorsch kombiniert sie mit persönlichen Konsequenzen. Wer bei Korruption erwischt wird, fliegt raus, wird an die Staatsanwaltschaft gemeldet und persönlich belangt. „Das geht dann ans Geld, da wird sich jeder genau überlegen, was er tut.“ Dorsch profitiert von einem tadellosen Ruf in der Region und uralten Kontakten. Nicht jedes Unternehmen kann das vorweisen.
Wie man mit Ministerien auch korruptionsfrei ins Geschäft kommt, berichtet Klaus K. Er arbeitet für ein deutsches Unternehmen, das Infrastrukturprojekte im Medizinsektor plant und umsetzt. Sein Unternehmen ist neu im Irak. Seine Regeln hat er schnell gelernt: „Sie brauchen Vertrauensleute vor Ort, damit Sie einen Orientierungspunkt haben und Kontakt zu den relevanten Entscheidern. Ohne Vermittler haben Sie keine Chance. Am besten sind Exil-Iraker aus Deutschland, die haben europäische Werte verinnerlicht. Wichtig ist, dass man sich schon zu Hause kannte. Auf freie Vermittler vor Ort sollte man verzichten. Das kostet sonst viel Geld und bringt nichts, weil diese Leute oft gar keine Kontakte haben. Drittens müssen Sie die richtigen Leute direkt in den Ministerien finden. Ich habe festgestellt, dass vor allem religiöse Beamte weniger anfällig sind für Beeinflussungen. An die sollte man sich wenden. Je höher Sie in der Hierarchie kommen, umso geringer wird die Gefahr der Korruption.“
Mit diesem Konzept spielt Klaus K. gegen die Regeln des Spiels. Sicher, K. hat Glück, dass der zuständige Minister ein strenggläubiger Muslim ist, der Korruption ausdrücklich ablehnt und bekämpft. „Sonst würden wir unsere Geschäfte auch nicht machen“, sagt K., „denn wenn Sie nur einmal eine Hürde mithilfe von Schmiergeld überspringen, spricht sich das herum. Dann haben Sie bei jedem Folgeauftrag wieder damit zu kämpfen.“ Hintertüren nagelt er zu. Sein Unternehmen beschäftige grundsätzlich keine Mitarbeiter mit persönlichen Beziehungen zum Machtapparat. Die Planung der Projekte erledigen nur deutsche Firmen, beim Bau beschäftigt K. Unternehmen aus der Türkei oder den Arabischen Emiraten, die er aus alten Projekten kennt. „Damit wir uns keine irakischen Tarnfirmen ins Haus holen, haben wir uns jeden Partner genau angeschaut, seine Erfahrungen, sein Reporting. Man darf da nicht blauäugig sein.“
In der Tat sind Unternehmen im Irak weitgehend auf sich allein gestellt. Korruptionsfreiheit zu schaffen, indem man sich über Korruption beschwert, ist kein Weg. Denn die Verfolgungsbehörden der irakischen Regierung sind noch schwach. Die wichtigsten Verfolger sind die Ministry Inspector Generals. Jedem Ministerium ist ein Inspektor zugeteilt, formell steht er sogar über dem jeweiligen Minister. In der Praxis haben die Inspektoren kaum eine Chance. Sie erfahren keine Unterstützung durch die Ministerien selbst, vielmehr können die Minister Untersuchungen in ihrem Haus mit Verweis auf ein altes Saddam-Gesetz stoppen. Gekoppelt mit weitreichenden Amnestien läuft so rund die Hälfte aller Ermittlungen ins Leere.
Im Jahr 2008 wurden landesweit 300 Beamte der Korruption beschuldigt, 87 von ihnen wurden verurteilt, darunter kein hochrangiger. Das ist der Normalfall. Es sind die Inspektoren selbst, die mit dem Tod bedroht werden, und es gibt niemanden, der sie wirksam schützt. Manche werden gefeuert, ihre Stellen bleiben unbesetzt. Kaum besser ist es mit der Commission on Public Integrity, die dem amerikanischen FBI ähnlich ist und landesweit Korruptionsfälle untersuchen soll. Ermittler erhalten immer wieder Morddrohungen, was den ehemaligen Chefermittler Radhi Hamza al Radhi 2007 in die USA fliehen ließ. Verschärft wird das exekutive Dilemma durch eine Justiz, die oft selbst korrupt ist. Keine Strategie, kein Geld, keine Führung – entsprechend schlecht fällt das Urteil der Iraq Study Group über die Korruptionsbekämpfung aus. Und selbst der irakische Planungsminister Ali Ghalib Baban gesteht: „Korruption ist die übliche Praxis überall in den Regierungsstellen. Korruptionsbekämpfung durch die Regierung selbst wird das Problem nicht lösen. Sie hat schlichtweg versagt. Die einzige Lösung ist die vollständige Privatisierung der Wirtschaft“, sagt der irakische Planungsminister. Das mag die Lösung sein, aber sie liegt noch weit in der Zukunft. Wer jetzt Geschäfte machen will, begibt sich auf eine Gratwanderung. Doch wer die Kultur versteht, findet auch legale Wege. Denn eines muss man begreifen: In einem Land, in dem sich Demokratie, Gleichbehandlung und Rechtssicherheit noch entwickeln, stehen für jeden Bürger private Beziehungen und Loyalität an erster Stelle. Wer sich nicht auf den Staat verlassen kann, muss sich auf seine unmittelbare Umgebung verlassen. Korrumpiert wird immer nur derjenige, der nicht zum Kreis der Vertrauenspersonen gehört. Eine Hand wäscht die andere. Dieses Prinzip kann Unternehmern auch Chancen bieten, Beziehungen aufzubauen, Netzwerke zu knüpfen und so Voraussetzungen für gute Geschäfte zu schaffen. Es gibt Unternehmer, die den Kindern möglicher Partner Stipendien für Universitäten spendieren. Oder sie schicken ihre Fachleute unentgeltlich in Ministerien, um dort Mitarbeiter zu schulen. Diese Form des Institution Building ist nicht sauber, aber sie ist legal. Sie schafft Verbindungen und Vertrauen. Bestechung wird überflüssig, ja, sie wird irgendwann zur Beleidigung.
Sich selbst in eine Position zu bringen, in der Korruption für den Korrumpierenden eine Schande wäre, ist nicht ganz leicht. Aber möglich. Wolfgang Roth, Vorstand des Erlanger Medizintechnikunternehmens Erothitan, hat es geschafft. Roth verkauft etwa künstliche Kniegelenke und Inkontinenztampons in den Irak, seit zwanzig Jahren ist er im Nahen Osten aktiv. Sein Rezept ist ganz einfach: „Ich will schnell hinein in die Familien meiner möglichen Geschäftspartner. Dann bin ich Mitglied des Clans, und Korruption spielt keine Rolle mehr.“ Roth hat sich so im Laufe der Jahre einen Schutzschirm geschaffen, der ihn vor unlauteren Anfragen schützt. „Ich habe überall gute Beziehungen, an mich trauen sich die Korrupten nicht so heran. Man darf ja nicht vergessen: Auch wer korrumpiert, macht sich angreifbar.“ Roth ist heute in der bequemen Lage, dass ihn mögliche Kunden anrufen, er muss nicht mehr baggern. Was wiederum die Korruptionsgefahr senkt. Wenn man ihn fragt, wie er das macht, sagt er: „Ich bringe mich einfach nie in eine Situation, in der ich erpressbar werde. Bei mir geht es nie um große Summen. Falls jemand Forderungen stellt, kann ich im Notfall auf das Geschäft verzichten. Wenn eine Sache anfängt zu riechen, ziehe ich mich rechtzeitig zurück. Ich gebe keine Rabatte, weil sonst irgendwann einer Geld haben will – für sein Konto in der Schweiz.“ Wolfgang Roth hat verstanden, wie die Leute ticken. Und er ist schlichtweg konsequent. Vor allem bei seiner wichtigsten Regel: „Ich habe noch nie jemanden übers Ohr gehauen. Das ist es, was zählt."
Exkurs: Ursachen der Korruption im Irak
Korruption ist nicht allein typisch für den Irak, sie ist Normalität in vielen Staaten der Welt. Aber im Irak haben aufgeblähte Bürokratie, Nepotismus und mangelnde Kontrollmechanismen in Politik und Verwaltung die Ausbildung korrupter Strukturen begünstigt. Der seit 1980 fast permanent andauernde Kriegszustand sorgte zusätzlich für eine wirtschaftliche Schieflage, Bestechungsgelder wurden zu einer Einnahmequelle. Oppositionelle und Andersdenkende wurden verfolgt, getötet oder flohen aus dem Land. Das Wirtschaftsembargo der Vereinten Nationen ließ die Mittelschicht verarmen – die jedoch rekrutierte sich vor allem aus Beamten und Angestellten des Staatsapparates. Wohl dem, der damals ein Familienmitglied an den Quellen von Macht und Geld hatte – ein Überleben war anders noch schwieriger. Zwar wurden nach dem Fall des Regimes viele Beamte ausgetauscht, aber das System wirkt weiter. Denn auch die neuen Beamten sitzen oft nicht wegen Kompetenz auf ihren Posten, sondern aufgrund ihrer Familien-, Clan- oder Konfessionszugehörigkeit. Oft sind diejenigen am Drücker, die damals unterdrückt wurden. Viele halten sich schadlos für erlittenes Unrecht.
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