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Wirtschaftsplattform Irak, Juli 2011                                                                                   zurück zur Übersicht

Willkommen Wertarbeit

Seit dem vergangenen Sonntag gelten für Importe in den Irak neue Regeln. Was bedeutet das für deutsche Exporteure? Was sind die Schwierigkeiten? Was sind die Chancen? Farhan Yabroudi, Referatsleiter Irak bei der Ghorfa, gibt Antworten…

WPI: Herr Yabroudi, eigentlich sollte das neue Zertifikat schon seit Mai gelten. Nach einer Fristverlängerung wurde es nun Juli. „Certificate of Conformity“ (CoC) – das klingt mal wieder wie aus dem Horrorkabinett unterbeschäftigter Bürokraten. Ist es das?

Farhan Yabroudi: Es ist ein Zeugnis, das belegt, dass die Eigenschaften eines Produkts den Qualitätsstandards des importierenden Landes entsprechen. Das kann sich etwa auf Sicherheitsvorschriften beziehen, auf Gütekriterien, auf Inhaltsstoffe bei Lebensmitteln. Meist sind es internationale Standards, Länder betreiben damit Handelspolitik, oder sie wollen ihre Bevölkerung schützen. Für den Irak allerdings ist das zum Teil etwas Neues. Zwar gab es 1963 und 1979 entsprechende Gesetze und bis 2003 wurde auch kontrolliert. Aber nach dem Krieg hat sich niemand mehr darum gekümmert, und jetzt will man wieder Ordnung in den Markt bringen. Exporteure müssen ihren Versanddokumenten für die Zollabfertigung ein Konformitätszeugnis beifügen.

Für welche Waren brauchen Exporteure ein Zertifikat?

Betroffen sind 90 Produktgruppen. Vor allem sind es Konsumgüter, die der Verbraucher ganz direkt nutzt, etwa Lebensmittel, Spielzeug, Kosmetik, elektrische Geräte, Schuhe, Textilien. Aber auch Badezubehör, Moniereisen, Zement, Farben und Rohre. Es geht in der Regel weniger um komplizierte Maschinen und Anlagen als um die Waren des täglichen Gebrauchs. Autos und Autozubehör sind übrigens bislang ausgenommen.

Warum wurde ein solches Papier jetzt offenbar notwendig?

Es war höchste Eisenbahn. Zuvor waren die Grenzen ja offen, man wollte nach dem Krieg 2003 keine Handelshemmnisse aufbauen und hat alles mögliche ins Land gelassen. Gute und weniger gute Ware, Niedrig- und Hochpreisiges. Damals hatten die Amerikaner das Sagen. Und die Iraker hatten große Entbehrungen hinter sich, sie mussten erst einmal zwischen guter und schlechter Ware unterscheiden lernen. Oft hat die Brieftasche das Kaufverhalten bestimmt, Billigprodukte waren populär. Das haben Geschäftemacher natürlich ausgenutzt und haben irgendwo Ramsch aufgekauft, um ihn in den Irak zu exportieren. Etwa abgelaufene Lebensmittel und Kosmetika, oder zusammengestoppelte Elektrogeräte ohne gute Sicherheitsstandards. Der ganze Markt wurde damit überschwemmt. Bis irakische Politiker entschieden haben, dass ihr Land nicht mehr der Müllplatz für schlechte Waren sein soll.

Der Irak als Reste-Rampe.

Genau. Es gab viele Beschwerden, etwa über alte Konserven oder verdorbenes Fleisch, das über die Türkei, über Iran, Syrien oder Jordanien ins Land geschafft wurde. Genaue Zahlen über den Anteil derart schlechter Ware haben wir nicht, aber wenn täglich rund 1400 LKW beinahe unkontrolliert über die Grenzen rollen, kann man viel Zeug hinüberschaffen. Es war auffällig und wurde zum gesellschaftlichen Problem. Aber es war nicht der einzige Grund für die neuen Regeln. Der Irak unterstreicht damit auch die eigene Souveränität. Und zuviel importierte Billigwaren sind natürlich auch Konkurrenz für lokale Produkte, etwa Pflanzenöl oder Reifen. Der ungeregelte Import wurde zur Bedrohung für die einheimische Industrie, die ohnehin unter Auslastungs- und Wettbewerbsproblemen leidet.

Wer hat denn davon profitiert?

In erster Linie gewissenlose Geschäftemacher aus dem In- und Ausland. Und natürlich auch die irakische Bevölkerung, weil sie an preiswerte Produkte kam. Aber nur, solange die Sachen halbwegs konsumierbar waren.

Inwiefern haben deutsche Unternehmen dabei mitgemischt?

Das lässt sich schwer sagen. Deutsche Händler haben mit Sicherheit wie andere westliche Firmen auch Waren irgendwo auf dem Erdball gekauft und sie dann in den Irak exportiert. Oder so etwas läuft über Vermittler, etwa beim Verkauf von einem Lagerbestand an Zahnpasta, der dringend unter die Leute muss. So etwas passiert immer wieder. Es muss sich ja nicht zwingend um ein deutsches Produkt handeln, mit dem man Geld verdient.

Einem solchen Gebaren sollen die neuen Import-Vorschriften nun Einhalt gebieten. Was heißt das denn praktisch?

Ein deutscher Hersteller oder Exporteur muss keine Angst haben, denn die irakischen Vorschriften sind auf keinen Fall strenger als die deutschen Standards. Sie ähneln denen in der EU oder anderen arabischen Ländern, und sie variieren von Produkt zu Produkt. Natürlich kann man jetzt keine Lebensmittel mehr einen Tag vor dem Verfallsdatum einführen, und die Sicherheit von Elektrogeräten muss internationalen Standards genügen. Als Exporteur bin ich jetzt in der Beweispflicht, dass mein Produkt den Vorschriften entspricht. Aber viele kennen das, es gehört zu ihrem Alltagsgeschäft auch mit anderen arabischen Ländern.

Woher bekomme ich die Vorschriften für mein ganz spezielles Produkt?

Die kann man sich bei den beiden Zertifizierungsgesellschaften besorgen, die im Auftrag des Irak die entsprechenden Prüfungen vornehmen: Bureau Veritas und SGS Deutschland.

Und wie ist dann das Prozedere?

Der Exporteur muss die entsprechenden Unterlagen zu seinem Produkt an eine der beiden Gesellschaften senden. Das können technische Daten sein oder Laborergebnisse, die wiederum von amtlich zugelassenen Stellen geprüft und bescheinigt sind. Die Zertifizierer prüfen dann, ob die Ware mit den Vorschriften und Normen übereinstimmt, und die Sicht ist sehr streng, denn den Prüfern drohen Strafgelder, wenn sie nicht genau hinschauen. Finden sie eine Abweichung, muss der Exporteur sein Produkt überarbeiten oder auf den Deal verzichten. Im Übrigen ist es sehr wichtig, dass man seinen Antrag frühzeitig stellt, denn bis zu einem Zertifikat können Wochen vergehen. Aber dafür übernehmen die Prüfer etwa auch Laborarbeiten, als Zusatzleistung, wenn das vom Exporteur gewünscht ist.

Was kostet das alles?

Das hängt vom Wert der Produkte ab. Beim Konformitätszeugnis beginnt es mit Gebühren von 380 Dollar bis zu einem Warenwert von 80000 Dollar, und dann steigert es sich. Ist eine Sendung mehr als 1 Million Dollar wert, kostet das Zertifikat 3200 Dollar, plus 0,15 Prozent des Warenwerts. Die Summen beziehen sich auf jede einzelne Lieferung mit eigenen Frachtpapieren und eigener Rechnung. Das gilt auch für Teillieferungen. Die Gebühren decken jedoch keine Zusatzleistungen der Zertifizierungsgesellschaften ab.

Und wer kontrolliert Zertifikat und Ware an der irakischen Grenze?

Das macht der irakische Zoll, in Kooperation mit der zentralen Organisation für Standardisierung und Qualitätskontrolle, per Stichprobe.

Wie sind die ersten Erfahrungen mit den neuen Regeln und ihrer Umsetzung?

Zunächst einmal wurde die Einführungsfrist vom 1. Mai auf den 17. Juni verlängert. Es ist alles etwas langatmig, weil die Zertifizierungsgesellschaften noch nicht alle Standards auf ihren Rechnern haben. Das Zertifikat vorlegen muss man trotzdem. Was übrigens auch bei langfristigen Lieferverträgen gilt, die etwa schon vor einem Jahr geschlossen wurden. Jede Ware, die nach dem Stichtag über die Grenze soll, braucht ein Zertifikat.

Und jetzt wird auch ganz genau hingeschaut.

So wollen es die irakischen Behörden. Aber an der Grenze ist noch alles im Aufbau. Die Zöllner müssen entsprechend ausgebildet werden, und es gibt noch zu wenige. Es gibt Anlaufschwierigkeiten.

Zeit und Geld kostet solch ein Zertifikat die Unternehmen trotzdem.

Ja, aber es ist ein notwendiges Übel. Und es gilt ja für alle, nicht nur für deutsche Exporteure. Alle sitzen im gleichen Boot, insofern ist das eine faire Sache. Und die deutschen Unternehmen haben sogar noch Vorteile davon.

Deutsche Exporteure sollen sich über mehr Bürokratie mit einem Einfuhr-Zertifikat freuen?

Ja. Es ist doch so: Die schwarzen Schafe, die sich bislang auf dem irakischen Markt tummelten, werden nun aussortiert. Sowohl die Händler als auch ihre Ware - ihr Zugang in den Irak wird abgeschnitten. Aber das trifft kaum deutsche Unternehmen, weil sie vergleichsweise selten billigen Ramsch exportieren. Sie profitieren hingegen davon, denn es entsteht sogar mehr Platz für deutsche Produkte. Wenn früher ein irakischer Geschäftsmann zum Beispiel 10 Tonnen Shampoo orderte, nahm er vielleicht für 60 Prozent davon Billigkram. Den bekommt er nun bei strenger Kontrolle nicht mehr, und in diese Lücke kann jetzt ein Anbieter hochwertigen Shampoos springen. So ist es in vielen Warengruppen, die deutschen Unternehmen liefern traditionell eher Qualität – ihre Chancen steigen. Und das neue Zertifikat bietet einen weiteren Vorteil – es schützt deutsche Marken. Mit dem Papier, das ja zum Ursprungszeugnis hinzukommt, gibt es nun einen Beweis, dass es sich bei einer Sendung wirklich um original deutsche Ware mit hohen Standards handelt und nicht um irgendein Nachahmerprodukt.

Aber mal so nebenher ein schnelles, schmutziges Geschäft machen – das wird wohl schwieriger.

Das ist nicht ausgeschlossen. Die Grenzen des Irak sind lang, und vielleicht wird sich der Schmuggel zunächst verschärfen, weil die Kunden im Irak ihre gewohnten Billigwaren zunächst vermissen werden, und Schmuggel der einzige Weg ist, sie ins Land zu bringen. Und über die offiziellen Grenzübergänge? Nun, man muss Zöllner moralisch aufbauen und fachlich weiterbilden, muss die Korruption bekämpfen, und das ist in Umbruchphasen nicht so einfach.

Es heißt, das Certificate of Conformity würde Exporte in den Irak vereinfachen und beschleunigen.

In der ersten Phase sicher nicht, aber später wird man wissen, worauf es ankommt und die Dinge werden ganz normal laufen. Die Abfertigung an den Grenzen wird sich mit Sicherheit nicht beschleunigen, eben weil man diese Zertifikate kontrollieren muss. Und so etwas gab es ja in den letzten Jahren gar nicht. Schneller geht es allerdings im Vergleich zu den Jahren vor 2003, weil der ganze Prüfprozess im Vorfeld in Deutschland erledigt wird, und nicht wie damals üblich erst an der irakischen Grenze.

Was bedeuten die neuen Einfuhr-Regeln denn für die Iraker selbst? Wenn sie wirken, werden Billigwaren durch höherpreisige Produkte zum Teil verdrängt. Können sich die Menschen das überhaupt leisten?

Billigware wird ja nicht komplett vom irakischen Markt verbannt. Was den Qualitätsstandards genügt, wird es weiter geben. Allerdings wird es Leute geben, die deshalb Probleme bekommen. Aber mit der Zeit wird sich die Kaufkraft der Iraker erhöhen. Die Einkommen steigen schon jetzt, wenn auch nicht in allen Teilen der Bevölkerung, und man merkt, dass sich die Leute umorientieren. Sie fragen etwa nach Kosmetik aus Deutschland. Klar ist aber: Solange sich an der relativ hohen Arbeitslosigkeit im Irak nichts ändert, wird es Nachfrage und Bedarf an günstigen Produkten geben.

Wenn diese nun nicht mehr so einfach ins Land kommen – wäre das eine Chance für die lokalen Produzenten?

Es wäre eine Chance, wenn sich die einheimische Industrie klug umstrukturieren würde. Wenn investiert würde in Wissen, Menschen und Maschinen. Der Markt ist ja da, die Iraker haben immer gern auch einheimische Waren gekauft. Irakische Unternehmen könnten in nun entstehende Lücken hineinstoßen, etwa mit ihren eigenen Lebensmittelkonserven, Haushaltsgeräten und Autoreifen. Wenn sie denn konkurrenzfähig wären – und das sind sie jetzt nicht. Das müsste sich ändern, aber im Irak setzt man im Privatsektor bis heute oft lieber auf das schnelle Geld als auf langfristig angelegtes Unternehmertum.

Gesetzt den Fall, die irakischen Unternehmer würden sich ändern und sich professionalisieren für eher günstige Preissegmente – fördern die neuen Einfuhr-Bestimmungen dann nicht doch die Konkurrenz auch für deutsche Unternehmen?

Nein. Die Warenstruktur ist doch eine ganz andere. Professionelle irakische Unternehmer wären eher eine Chance für deutsche Firmen. Dann könnten sie mit den Irakis leichter gemeinsame Projekte stemmen. Warum sollten Sie denn nicht zusammen im Irak eher unkomplizierte Produkte wie etwa Elektromotoren, Autobatterien, Dünger, Baumaterial und Farben herstellen?

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