Wirtschaftsplattform Irak, Juli 2011 zurück zur Übersicht
Friedensmaschinerie
Rund ein Viertel der weltweit vergrabenen Landminen liegt in irakischer Erde. Zeit, dass endlich mal jemand im ganz großen Stil aufräumt. Zum Beispiel die Firma Minewolf Systems vom Bodensee.
Eigentlich wäre es wirklich gut, das Ding wäre nun endlich im Irak. Das Ding ist gut sieben Meter lang, knapp vier Meter hoch und breit, und von außen sieht es aus wie eine Kreuzung aus Panzer und Mähdrescher. Über 26 Tonnen Masse werden getrieben von einer 367 PS starken Dieselmaschine, und wenn es im Schritttempo übers Land fährt, gräbt sich seine Fräse bis zu 35 Zentimeter tief in den Boden, zerstört Landminen oder bringt sie zur Detonation. Der MW 370 ist das Flaggschiff der deutsch-schweizerischen Minewolf Systems AG, einem Hersteller von Minenräummaschinen mit Sitzen in Pfäffikon und Stockach am Bodensee.
In irakischer Erde liegen noch immer etwa 20 Millionen Anti-Personen-Minen verborgen, das ist ein Viertel aller verlegten Minen der Welt. Rund 1730 Quadratkilometer Land sind damit verseucht, 1,6 Millionen Menschen in über 1600 irakischen Orten schweben deshalb permanent in Lebensgefahr. Die irakische Regierung hat sich verpflichtet, bis 2018 sämtliche Minen zu räumen, aber schon jetzt ist klar, dass sie das nicht schaffen wird. „Wir bräuchten hunderte Firmen und 19000 Minenräumer in den kommenden zehn Jahren“, sagt jüngst Kamal Hussein Latif, der stellvertretende Umweltminister Iraks, in dessen Ressort die Minenräumung fällt.
Da müsste eine Maschine, die pro Tag bis zu 30000 Quadratmeter Land minenfrei räumen kann, doch eigentlich willkommen sein. Man müsste alles tun, damit sie ins Land kommt. Stattdessen steht MW 370 nun schon seit vier Monaten auf dem Minewolf-Werksgelände in Stockach. „Wir warten auf die Einfuhrgenehmigung“, sagt Minewolf-Manager Philipp von Michaelis, „aber es fehlen noch Unterschriften aus den irakischen Ministerien. Zum Glück ist die Maschine schon bezahlt, sonst wäre ich nicht so ruhig. Aber wenn ich in drei Jahren Irak etwas gelernt habe, dann das: Es braucht Zeit, und es kommt oft ganz anders, als man denkt.“
Philipp von Michaelis ist bei Minewolf Vorstand für Vertrieb & Geschäftsentwicklung, der 36-Jährige ist ohnehin einiges gewöhnt. Weltweit gibt es nur eine Handvoll Hersteller für Minenräumfahrzeuge, und Minewolf hat sich in nur wenigen Jahren einen respektablen Platz erkämpft. Rund 70 Minewolf-Maschinen pflügen sich mittlerweile durch die Erde in weltweit 20 Ländern, etwa in Angola, im Sudan oder in Afghanistan. Alles nicht gerade Staaten mit besonders einfachen Geschäftsbedingungen. Michaelis geriet eher zufällig in dieses Geschäft – was gut zur Geschichte von Minewolf Systems passt.
Entstanden ist die Firma zu Beginn der 2000er-Jahre. Damals kam der pensionierte Entwicklungsingenieur Heinz Rath, seines Zeichens als Vater der modernen Hochleistungsscheibenbremse mit dem Bundesverdienstkreuz geadelt, auf die Idee, einen Minenräumer zu bauen, der auf dem Prinzip einer offenen Erdfräse beruht. Fünf Jahre lang werkelte er anderen pensionierten Ingenieuren und Offizieren in Koblenz an seiner Maschine, ein Landmaschinenhersteller baute schließlich die ersten Prototypen, mit Fräse oder Schlegeln. Um das Geschäft auf sichere Beine zustellen, bat Rath schließlich drei Studenten der WHU-Otto Beisheim School of Management in Vallendar um einen Businessplan – einer davon war Philipp von Michaelis. „Ich war vorher in der Strategieabteilung eines Medienkonzerns und habe mich um die Zukunft des Fernsehens gekümmert“, lacht Michaelis, „aber ich wollte eigentlich immer mein eigenes Ding machen.“ Im Jahr 2004 gründen Rath und die drei Absolventen die Firma Minewolf Systems. Heinz Rath hat sich mittlerweile zurückgezogen, und Minewolf ist zu einem Unternehmen gewachsen mit 70 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 25 Millionen Euro.
Den zu steigern ist der Grund, warum Minewolf vor zwei Jahren im Irak aktiv geworden ist. „Der Irak ist ein Markt mit hohem Potenzial“, sagt Michaelis. „Das Land steht unter Druck, will möglichst schnell wirtschaftlich unabhängiger werden. Das geht aber nur, wenn es sicheres Gelände für Betriebsansiedlungen gibt, und auch die Ölfelder müssen sicher sein. Zudem hat die Politik ein Auge auf den Irak und verlangt schnelle Fortschritte. Und der Irak ist grundsätzlich ein finanzstarker Markt, schon wegen des Öls. Verminte Gelände bedeuten für Ölfördergesellschaften Produktionsverluste, den Schaden kann man sich in Dollar ausrechnen. Insgesamt besteht deshalb ein hohes Interesse an der Minenräumung, und es gibt das Geld, diese auch zu bezahlen.“
Was allerdings nicht heißt, dass die Geschäfte für Minewolf wie geschmiert liefen. Den Boden für Minenräumaktionen müssen die offiziellen Stellen im Irak bereiten – und dabei rumpelt es gewaltig. Es fehlen detaillierte Karten der verminten Landstriche. Unklar ist, wer zu räumende Flächen und die entsprechenden Methoden bestimmt, wer die geräumten Flächen später als sicher abnimmt, wer das alles bezahlt. Stammesfürsten und Ölgesellschaften streiten darum, wessen Flächen zuerst geräumt werden sollen. „Die Institutionen sind eigentlich klar“, sagt Michaelis, „aber die Abläufe haben sich noch nicht eingespielt. Deshalb gibt es bislang wenig Räum-Projekte, und deshalb können auch wir noch nicht richtig loslegen.“
Am Alltag hat Minewolf wenig mit den staatlichen Stellen zu tun. Die Geschäftspartner sind überwiegend Räumfirmen und Nichtregierungsorganisationen, die Minenräumungen betreiben. So hat Minewolf vor gut zwei Jahren über den kroatischen Dienstleister Rumital die erste Maschine nach Kurdistan geliefert – und dort auch mit den Offiziellen sehr gute Erfahrungen gemacht. „Deren Verwaltung ist wirklich gut“, sagt Michaelis, „die haben eine klare Planung und machen gute Fortschritte. Gern würden wir weitere Maschinen liefern, denn Erfolge in den kurdischen Gebieten würden auch die Entscheider im Irak selbst unter Druck setzen.“ Wenn da nicht nur die Geographie wäre. Kurdistan ist gebirgig, der Minewolf eignet sich aber vor allem für flache Gelände. Im März hat die Firma wieder Regionen in Kurdistan inspiziert. „Aber da sind wir kaum mit dem Landrover durchgekommen.“
So setzt Minewolf stark auf Fortschritte auch im großen Rest des Landes, dort, wo der Minewolf geografisch ideale Bedingungen vorfindet. Seit dem Jahr 2010 ist ein zweiter Minewolf in der Region um Basra im Einsatz. Auch bei dessen Lieferung gab es ewige Verzögerungen, bei Minewolf liefen Lagerkosten von mehreren Tausend Dollar auf. „Aber entscheidend ist, dass man überhaupt eine Maschine im Irak hat“, sagt Michaelis, „so dass man beweisen kann, was die Technik leistet.“ Zu wichtig ist der Markt, als dass man sich von derartigen Hürden abschrecken lassen darf.
Stromnetze und Umspannwerke sind marode
Den Einstieg hat Minewolf Systems damals dank guter Referenzen und guter Kontakte zu den Amerikanern geschafft. Die Minenräumung im Irak wird maßgeblich von der IMCO betrieben, der Iraq Mine and UXO Clearance Organization. Die IMCO wiederum hängt an Ronco, einer amerikanischen Consultingfirma, die sich seit den 80er Jahren im Regierungsauftrag um den Wiederaufbau von Konfliktregionen kümmert. Minewolf Systems ist den Amerikanern durch Einsätze in anderen Ländern seit Jahren gut bekannt, so dass Michaelis` Anfrage im Jahr 2009 auf offene Ohren stieß. Das war in Jordanien, wo drei Minenwölfe arbeiten. „Wir haben uns in Amman mit den Leuten vom State-Department getroffen und die haben die Maschine dann finanziert“, erinnert sich Michaelis, „das ging ganz schnell.“ Auch die Maschine, die jetzt noch in Stockach steht, wird an IMCO gehen.
Die Kooperation mit den Amerikanern mindert den Stress, den viele Unternehmen im Irak gewöhnlich haben. Die Drähte sind kurz, die Bezahlung ist gesichert – vor allem aber legen die Amerikaner Wert darauf, dass die Maschinen ihre Aufgaben möglichst auch erfüllen – was essentiell ist für Minewolf. „Das Ansehen des Lieferanten ist nur so gut wie die Arbeit, die mit seinen Maschinen geleistet wird“, sagt Michaelis. Minewolf Systems liefert keine simplen Motorsägen, sondern komplexe Maschinen, die es zu beherrschen gilt, weshalb die Firma im Paket auch Fahrertrainings und dauerhaften Service anbietet, also Reparaturen und Beratung im Gelände. In anderen Ländern verzichten Kunden gern auf diesen teuren Service, im Irak müssen sie ihn dazukaufen, was die Leistung natürlich erhöht.
Für eine private Stromversorgung haben viele kein Geld
Den Service im Irak übernehmen Minewolf-Techniker aus dem Libanon oder aus Jordanien. Minewolf hat es bislang bewusst vermieden, ein teures Büro im Irak zu eröffnen. „Wir halten die finanziellen Risiken lieber gering“, sagt Michaelis. Auch will das Unternehmen seine Risiken minimieren, indem es mögliche Kunden lieber im Ausland trifft und auf Bezahlung bei Lieferung ab Werk besteht. Große Kontaktpflege mit irakischen Offiziellen steht nicht auf der Agenda – auch wenn Minewolf mit dieser Zurückhaltung den Ärger beim Papierkram freilich nicht eindämmen kann.
Minewolfs Maschinen arbeiten im Schritttempo, und auch das Unternehmen selbst geht seine Bemühungen im Irak eher mit Bedacht an. „Wir haben eine langfristige Perspektive“, beschreibt Michaelis die Philosophie. Deshalb hält sich Minewolf etwa aus dem undurchsichtigen Privatmarkt für Minenräumfahrzeuge heraus. Die irakische Armee räumt hier und da mit geschenkten Maschinen, auch Unternehmen lassen Räumfahrzeuge über ihre Firmengelände rollen, alles oft ohne Plan und Dokumentation. „Wir könnten natürlich aggressiver sein“, meint Michaelis. „Wir könnten unsere Maschinen nach Basra bringen und sie dann auf Tagessatzbasis etwa an Ölgesellschaften vermieten. Das würde gut laufen. Aber wir wollen und müssen sauber und sicher arbeiten, sonst haben wir langfristig keine Chance. Schon allein, weil Amerikaner und Vereinte Nationen alles andere nicht gutheißen würden.“
Die Minenwölfe machen eben nicht alles mit. Doch aus der Beobachtung ist aktive Vermarktung geworden, vor allem seit 2010. Denn der Minewolf-Manager Michaelis rechnet damit, dass sich die Amerikaner in Zukunft bei der Minenräumung etwas zurückhalten werden und sich das Geschäft so wie heute schon in Bosnien oder Kroatien kommerzialisiert, sobald die Rahmenbedingungen inklusive einer sicheren Kontrolle von Räumern und geräumten Feldern stehen. Minewolf hat mögliche Abnehmer auf Verdacht kontaktiert, darunter auch Firmen und Ölgesellschaften, und hält sie seitdem auf dem Laufenden. Verkaufsleiter Michaelis reist zu Meetings in Washingten, Dubai und anderswo, wo die Zukunft der Minenräumung im Irak besprochen wird, und denkt an eine kleine Außenstelle bei der IMCO. Noch sei der Markt nicht wirklich offen. „Aber wenn es mal richtig losgeht und Maschinen in größerem Umfang gekauft werden, dann sind wir dabei.“ Rund 20 Unternehmen und Räumorganisationen hätten bei Minewolf bereits reserviert.
Wie groß der irakische Markt für Minewolf Systems einmal sein wird – Philipp von Michaelis vermag das nicht wirklich zu sagen. Die Hälfte des gesamten Kuchens wäre realistisch, meint er. Zehn Maschinen, zwanzig? Dazu der Service? Ab 2012 könnte sich da ein Umsatz zwischen 5 und 10 Millionen Euro ergeben. „Für uns wäre das ein großes Ding.“
Das Werk in Stockach haben sie jedenfalls im Frühling auf Serienfertigung umgebaut.
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